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Klassismus, Rassismus und Sexismus gehen Hand in Hand

Es gibt kein Zurück mehr: Aus den Lehren der Coronakrise müssen Taten folgen

  1. Vorab:

Corona macht Ungleichheit, gesellschaftliche und soziale Ausgrenzung sichtbar. Oder: Klassismus, Rassismus und Sexismus gehen Hand in Hand

Ein Ende der Krise darf nicht ein Zurück in die Krise(n) bedeuten. Denn was wir vor Corona hatten – die vielbeschworene „Normalität“ – war eben nicht der wünschenswerte gesellschaftliche Idealzustand, sondern auch die Lage davor war in vielen Belangen bereits krisenhaft. Das betrifft die Klimakrise, mit ihren existentiellen Bedrohungen für uns alle, aber eben nicht nur. Wenn wir heute über die Zeit nach Corona nachdenken, dann müssen wir den Mut aufbringen, genauer hinzuschauen und differenzierte Antworten für alle gesellschaftlichen Bereiche finden – das gilt für den Umgang mit Freiheitsrechten und für den wirtschaftlichen Wiederaufbau ebenso wie für die Gesellschafts- und Sozialpolitik. Die Corona-Krise an sich wird keinen Politikwechsel bringen. Eine solche Krise öffnet aber Diskursräume. Wir sollten sie füllen. Gerade in einer Situation, in der die Neue Rechte und alte Neoliberale ihre Stunde geschlagen sehen. Sonst droht ein Verteilungskampf um Geld und Ressourcen, bei dem die meisten Menschen leer ausgehen werden und bei dem die soziale und gesellschaftliche Spaltung weiter zementiert wird.

Das Virus trifft nicht alle Menschen gleich! Die Corona-Krise hat schonungslos offen gelegt, wie Ungleichheit, soziale Ausgrenzung, Ungleichbehandlung oder die Benachteiligung von Frauen – Klassismus, Rassismus und Sexismus – Hand in Hand gehen. Gesellschaftliche Erfolge der vergangenen Jahrzehnte werden offen in Frage gestellt – und zwar nicht nur verbal, sondern auch ganz konkret in dem von Corona dominierten Alltag. So sind es vor allem wieder Frauen, die die Mehrarbeit der Kinderbetreuung und des Homeschoolings leisten. Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, Jutta Allmendinger, befürchtet gar einen emanzipatorischen Rückschritt von Jahrzehnten durch die Corona-Krise.[1] Und auch rhetorisch droht sich eine entsprechende Interpretation breit zu machen. Während die einen noch von der „Systemrelevanz“ sorgender Berufe sprechen, stellen andere längst die Frage, ob wir uns nach der Corona-Krise tatsächlich noch Debatten über mehr „soziale Wohltaten“, Genderfragen, oder Antirassismus leisten können. Dass es hier an den Kern der Gesellschaft geht – geschenkt.

Ein Blick über die Grenzen, in die USA, nach Brasilien und nach Frankreich, zeigt uns besonders eindringlich die intersektionale Verwobenheit von Klassismus, Rassismus und Sexismus: Viele Bundesstaaten in den USA melden eine extrem hohe Zahl von Corona-Toten unter ihren Schwarzen Bürger*innen. Die Ursachen hierfür sind bekannt: Die Pandemie verstärkt bereits den zuvor bestehenden Rassismus, soziale Ungleichheit und strukturelle Ausschlüsse aus der Daseinsvorsorge und wirkt nun tödlich. Der Talkmaster Trevor Noah spricht von vielen Dominosteinen, einer langen Kette rassistischer Realitäten. Nach dem Mord an George Floyd geht es in den USA eben nicht nur um Polizeigewalt, sondern auch um strukturellen Rassismus, der im Zuge der Coronakrise gerade wieder offenbar geworden ist.[2] In Brasilien zeigt sich ein ähnliches Bild: Das erste Opfer, über das in der Coronakrise breit berichtet wurde, war die 63-jährige Cleonice Gonçales, eine „Empregada“, eine Hausangestelle aus einem Armenviertel in Rio. Allein in dieser Stadt leben etwa 500.000 Frauen, die unter verheerenden sozialen Bedingungen ihr Leben führen, selten Zugang zu Gesundheitsversorgung haben und für die Corona besonders gefährlich ist.[3] Aus Frankreich kommen ganz ähnliche Berichte und Zahlen. Im Département Seine-Saint-Denis im Großraum Paris stieg die Mortalitätsrate in einer Woche während der Krise um über 50 Prozent. Viele machten umgehend die Anwohner*innen selbst für die vielen Toten verantwortlich – zu Unrecht. Grund ist vielmehr die prekäre Situation in der die Menschen dort leben, insbesondere BPoC und Menschen mit Migrationsgeschichte. Dort wie auch hier gilt für viele marginalisierte Bevölkerungsgruppen: „Social Distancing“ (oder richtigerweise: „Physical Distancing“) ist Luxus. Sei es aufgrund der unzureichenden, vielfach beengten Wohn- und Arbeitsverhältnisse. Sei es aufgrund der prekären Beschäftigungssituation, die Home Office oder Kurzarbeit nicht zulässt. Ausgerechnet viele dieser prekären Jobs gelten in der Krise plötzlich als „systemrelevant“. In der Realität bedeutet „systemrelevant“ letztlich vor allem ein höheres Ansteckungsrisiko und damit eine besondere Gefährdung der persönlichen Gesundheit – sei es im Einzelhandel, in der Pflege, bei der Paketzustellung oder etwa in den Reinigungsberufen.[4]

Weder in den USA noch in Brasilien oder Frankreich liegen bislang landesweite, abschließend belastbare Zahlen vor. Auch für Deutschland sind solche Phänomene nicht umfassend mit Zahlen unterlegt. Die Lage ist dennoch klar: Diejenigen, die am stärksten unter der Corona-Krise zu leiden haben, sind genau die, die auch schon vor der Pandemie am stärksten benachteiligt waren – und das oftmals intersektional: Frauen*, Menschen mit Migrationsgeschichte und BPoC, prekär Beschäftigte, ALG-II-Empfänger*innen, Kinder aus bildungsfernen Familien, Wohnungs- und Obdachlose.

Um es konkret zu machen: Es sind Frauen, die unsere Gesellschaft in der Krisenzeit am Laufen halten. Jeweils deutlich über 70 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Lebensmittel-Einzelhandel, in der Pflege, in den Krankenhäusern und in sozialen Berufen generell, sind Frauen.[5] In der Krise sind sie es, die täglich für die Gesellschaft einstehen – zu miserablen Löhnen, prekär beschäftigt, im Gesundheitswesen häufig als Leiharbeitskräfte und unter schlechten Arbeitsbedingungen. Aber auch im Home Office sind vielfach sie es, die zusätzlich zur regulären Erwerbsarbeit die unbezahlte Care-Arbeit schultern. Die Corona-Zeit legt schonungslos offen, dass wir einerseits in Sachen Gleichstellung noch längst nicht so weit waren, wie vielfach proklamiert und dass gleichzeitig durch Corona Rückschritt droht.

Ähnlich sieht es für Menschen mit Migrationsgeschichte und BPoC aus. Sie arbeiten noch immer zu einem viel höheren Anteil als die Mehrheitsgesellschaft im Handel, im Lebensmittelvertrieb aber auch in der Lebensmittelherstellung[6]. Ohne Saisonkräfte würde unsere Ernte auf dem Feld bleiben, in den Schlachtereien werden häufig osteuropäische Arbeitskräfte ausgebeutet, unter unwürdigen Bedingungen. Die hohen Ansteckungsraten unter den Arbeiter*innen in Schlachtbetrieben sind ein Zeugnis dieser dramatischen Zustände.[7] Zur Abmilderung des Fachkräftemangels in der Pflege werden zunehmend Fachkräfte im Ausland angeworben. In den letzten fünf Jahren hat sich die Zahl der im Zuge der europäischen Freizügigkeit in Deutschland beschäftigten Pflegekräfte um 28.000 auf 75.000 erhöht (40.000 Krankenpflegekräfte, 34.000 Altenpflegekräfte). Auch aus dem außereuropäischen Ausland werden immer mehr Menschen für die Pflege in Deutschland angeworben.[8] Sie alle sorgen dafür, dass unsere Gesellschaft funktioniert.

Die Corona-Krise hat ebenfalls schmerzlich vor Augen geführt, wie sehr unsere sozialen Sicherungssysteme auf Kante genäht sind. In der Krise sind noch einmal mehr Menschen auf Sozialleistungen angewiesen, die dies selber nie erwartet hätten. Millionen Menschen machen Erfahrungen, die Arbeitslose und Menschen in Grundsicherung schon lange machen müssen. Mit der Schließung der Tafeln und dem fehlenden kostenlosen Mittagessen in der Schule, stehen viele Familien und ältere Menschen plötzlich vor enormen finanziellen Schwierigkeiten. Für viele geht es buchstäblich um die Frage nach der nächsten Mahlzeit.[9] Gleichzeitig schaffen es sehr wenige Superreiche erneut eine Krise dafür zu nutzen, ihren exorbitanten Reichtum weiter zu steigern. Allein das Geschwisterpaar Klatten/Quandt streicht als BMW-Aktionäre knapp 800 Millionen Euro Dividenden ein. US-Milliardäre wie Jeff Besos (Amazon) oder Mark Zuckerberg (Facebook) steigerten ihr Vermögen um über 430 Milliarden Dollar.[10] 

Hoffnung gibt in dieser Krise hingegen immer wieder das zivilgesellschaftliche Engagement. Es sind zivilgesellschaftliche Akteur*innen, die bei aller Notwendigkeit der präventiven Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie auf die sozialen Fehlstellen und negativen gesellschaftspolitischen Konsequenzen, auf Ungleichbehandlung und Bürgerrechtsverletzungen hinweisen. Und angesichts der Verschwörungstheorien und der Hasspropaganda, die um sich greift, wird deutlich, wie zentral eine aktive Zivilgesellschaft ist, um dem dumpfen „Wir sind das Volk“ und den Phantasien der Neuen Rechten etwas entgegensetzen zu können, die sich eine homogene Gesellschaft der Exklusion und Ausgrenzung herbeiwünschen.

Wenn wir über die Grundsätze unserer künftigen Politik nachdenken, sollten wir diese Erfahrungen zugrunde legen. Denn es wird ein Muster deutlich: Die Abwertung und Schlechterstellung von Frauen*, die Diskriminierung von BPoC und Menschen mit Migrationsgeschichte und die Ausgrenzung sozial schlechter gestellter Menschen treten gebündelt auf

2. Konsequenzen aus der Krise

Das Corona-Virus hat einmal mehr und besonders brutal offengelegt, wie ungleich Wohlstand und Privilegien in der Gesellschaft verteilt sind. Er hat die gesellschaftlichen Missstände potenziert und die soziale Spaltung weiter beschleunigt. Noch dringlicher als zuvor stellt sich damit die Frage nach dem Zusammenleben in einer pluralen Gesellschaft. Die Konsequenz muss sein, dass wir den demokratischen Kompass unserer Gesellschaft überprüfen und neu justieren. Nicht Konkurrenz und Streben nach maximalem Profit können Grundlage unseres Gemeinwesens sein. Es ist die Verwirklichung von Gleichbehandlung und Teilhabe für alle, die Infragestellung von Privilegien, die permanente Suche nach Solidarität und Kooperation, das Ringen um die besten Lösungen. Nicht das Einteilen der Gesellschaft in Gruppen und der Kampf um eigene Pfründe und Privilegien zu Lasten anderer ist, was uns stark macht, sondern die gemeinsame Orientierung am Gemeinwohl.

Mit dem Ende der Pandemie können wir hoffentlich endlich auch das neoliberale Zeitalter überwinden. Es funktioniert nicht Daseinsvorsorge nach dem Prinzip der Gewinnmaximierung zu organisieren. Es muss Schluss damit sein, dass soziale Schieflagen und Probleme individualisiert und als Scheitern von persönlichen Lebensbiographien umgedeutet werden. Und nie wieder sollten wir in künftigen Debatten „Leistung“ mit dem Recht des Stärkeren verwechseln. Welchen Wert wir z.B. sozialen Berufen beimessen, müssen wir als Gesellschaft bestimmen, kein ominöser „Markt“ kann uns das abnehmen oder regeln. Wenn das die Lehren der Corona-Krisen werden, dann stehen wir vor einer echten Zäsur. Es liegt auch in unserer Hand, dass es so kommt.

Die genannten Themen haben unzählige Facetten. Das erfordert im Folgenden eine inhaltliche Begrenzung. Auch wenn es wichtig wäre, wird es nicht um Aspekte wie die ebenso zwingende Novellierung des Ehegattensplittings gehen, nicht um die notwendige Ausweitung der Antirassismus-Arbeit, nicht um den ganz konkreten Kampf gegen Geschlechterstereotype und Rollenklischees und auch nicht um ein so dringend nötiges gerechteres Steuersystem. Vielmehr sollen hier vier Themen adressiert werden, die genau an den zentralen Schnittstellen liegen. Denn die Kämpfe bedingen sich – Rassismus und Sexismus werden wir nicht überwinden, wenn wir nicht auch die soziale Frage stellen und umgekehrt. Konkret geht es in diesem Papier um die sozialen Berufe der Daseinsvorsorge, die Ausbeutung eines stetig wachsenden (Dienstleistungs)prekariats und der Umgang mit Arbeitslosigkeit und gebrochenen Erwerbsbiographien. Zuletzt fordern wir eine starke Zivilgesellschaft als strukturelle Voraussetzung dafür, Klassismus, Rassismus und Sexismus in der Gesellschaft wirkungsvoll und nachhaltig zurück zu drängen.

2.1. Daseinsvorsorge darf nicht dem Markt überlassen werden

Die kapitalistische Logik hat keine Zukunft

Gesundheit ist Daseinsvorsorge, nichts, was in wirtschaftliche Gewinn- und Verwertungslogiken passt oder mit dem Geld verdient werden sollte. Genau nach diesem Prinzip ist aber unser Gesundheitswesen derzeit weitgehend aufgebaut. Wir müssen endlich ehrlich sagen: Diese Logik funktioniert nicht. Sie ist ein Kernproblem des Gesundheitswesens in Deutschland. Die Frage nach der Organisation des Gesundheitswesens der Zukunft ist mit der Corona-Krise auch zum Maßstab dafür geworden, wie wir grundsätzlich mit Daseinsvorsorge in unserer Gesellschaft umgehen wollen: wie wir Menschen bezahlen, die Daseinsvorsorge aufrechterhalten, und wie wir allen gleichermaßen Zugang dazu garantieren.

Krankenhäuser sind explizit darauf ausgerichtet, Gewinne zu generieren. Vergütet wird mit Pauschalen nach Einzelleistungen, im sogenannten DRG-System. Grundversorgung, Aufenthalt und Betreuung werden nicht finanziert, so müssen Patient*innen vor allem eins, so schnell wie möglich wieder raus aus dem Krankenhaus, die sprichwörtlich „blutige Entlassung“ ist zum Sinnbild dieser Entwicklung geworden. Für das Vorhalten von Kapazitäten, zum Beispiel als Daseinsvorsorge in Kreißsälen oder bei Betten auf Intensivstationen gibt es gar kein Geld. Das unternehmerische Risiko einer sich verändernden Auslastung liegt allein beim Krankenhaus. Die Corona-Krise hat gezeigt, dass das alles ein unhaltbarer Zustand ist.

Eine ähnliche Logik greift im ambulanten Bereich. Die Querfinanzierung über Privatversicherte führt zu einer kapitalistischen Logik in der Versorgung mit der Konsequenz, dass die Versorgung von Menschen höchst unterschiedlich ist. Privatversicherte sind überversorgt, weil hier häufig das zwei bis dreifache abgerechnet werden kann, gesetzlich Versicherte wiederrum haben lange Wartezeiten, in Gegenden, in denen die Einkommensstruktur niedriger ist,  ist die ambulante Versorgung systematisch schlechter und Obdachlose und Menschen ohne Papiere haben – jenseits von Städten mit Modellprojekten wie Berlin – überhaupt keinen regulären Zugang zum Gesundheitssystem. Es ist offenkundig: Wir müssen unsere Versorgungsstrukturen völlig neu denken. Die Zweiklassenmedizin muss nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis abgeschafft werden. Gesundheit ist Daseinsvorsorgen, gerade die Grundversorgung für alle und auch das Vorhalten von Kapazitäten für außergewöhnliche Lagen.

Die Gesundheitsversorgung muss so umgestaltet werden, dass nicht mehr Gewinn-Logik, sondern Daseinsvorsorge ins Zentrum rückt. Bundesweit müssen Standards definiert werden. Die Länder müssen gezielt die notwendige Krankenhausplanung in die Hand nehmen, inklusive Grundversorgung und Vorhaltung von Kapazitäten. Die nötigen Mittel müssen ausreichend von den Krankenkassen und vom Bund bereitgestellt werden. Es geht dabei nicht in erster Linie um mehr Geld, es geht zunächst um Prioritäten und Steuerung. Dass die Betreuung von Kindern in Krankenhäusern nur durch Querfinanzierung über andere abrechenbare Leistungen aufrechterhalten werden kann, ist ein unhaltbarer Zustand. Bei den niedergelassenen Ärzt*innen muss die Finanzierung endlich über eine Bürgerversicherung organisiert werden. Die Fehlsteuerungen der Zwei-Klassen-Finanzierung muss ein Ende haben. Im Idealfall würden daran anknüpfend regional abgestimmte Versorgungsstrukturen etabliert, die ambulante und stationäre Versorgung systematisch zusammen denken.

Wir müssen als Gesellschaft demokratisch entscheiden, welche Versorgung und welche Kapazitäten wir für richtig erachten und wie wir Menschen bezahlen, die dafür sorgen, dass gute Gesundheitsversorgung funktioniert. Der Markt kann das nicht und auch nicht ein auf Marktlogik getrimmtes Gesundheitswesen.

Die beschriebenen Zusammenhänge gelten insbesondere für die in der Corona-Krise viel beklatschte Pflege. Über Jahre fand Pflege überhaupt keine gesonderte Berücksichtigung, sondern wurde über das DRG-System mitfinanziert. Darum war die Pflege das erste, an dem gespart werden konnte – mit fatalen Folgen für die Versorgung. Das heute so viel Pflegekräfte fehlen, liegt auch an genau dieser Politik. Es ist richtig, dass seit diesem Jahr (2020) die Pflegepersonalkosten aus dem DRG-System ausgegliedert wurden. Mit der Bildung eines so genannten „Pflegebudgets“ ist ein Instrument geschaffen worden, das nun ermöglicht, eine politische Debatte über angemessene Pflege in Krankenhäusern zu führen. Dies müssen wir tun und eins ist dabei klar, es müssen mehr Pflegekräfte werden, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Und nicht zuletzt um das zu schaffen, müssen diese auch besser bezahlt werden.

Die Bereitstellung von Kapazitäten braucht die nötigen Investitionen auch in die Infrastruktur. Auch wenn dies derzeit zunächst Aufgabe der Länder ist, so müssen Bund und Länder hier gerade nach den hohen Kosten der Corona-Bewältigung gemeinsam Verantwortung übernehmen. Über den Krankenhausstrukturfonds beteiligt sich der Bund seit der letzten Legislaturperiode bereits an den Investitionskosten. Derzeit stellt der Bund jährlich eine Milliarde Euro zur Verfügung. Dieser Betrag muss weiter angehoben werden.

2.2. Es darf kein (Dienstleistungs)prekariat mehr geben

Dieses bedeutet Ausbeutung und spaltet die Gesellschaft

„Dienstleistungen“ stehen im Zentrum unsere Zukunft. In der Corona-Krise haben wir gesehen, dass ohne sie das gesellschaftliche Leben nicht funktioniert. Sie sind die Zahnräder im Getriebe. Die Arbeit der Pflegekraft im Seniorenheim, die Leistung der Sozialarbeiterin in der Jugendeinrichtung, den guten Haarschnitt des Friseurs, die Wichtigkeit der Arbeit der Verkäufer*innen im Supermarkt, der Fahrrad-Kurierin, wenn das Essen nun nach Hause kommen muss, der BSR-Mitarbeiterin, die weiter den Müll abholen kommt, der Call-Center-Mitarbeiter*innen, der Reinigungskräfte, den tausenden Beschäftigten bei den Onlinegroßhändlern. Viele Millionen Menschen, die für unsere Gesellschaft nun als “systemrelevant“ bezeichnet werden. Dazu kommen all‘ die Jobs der Dienstleistungsbranche, die angesichts von Corona zwangspausieren müssen und wo überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit droht: die Dienstkräfte im Tourismus, im Hotel- und Gaststättengewerbe, in der Sicherheitsbranche oder im Verkehr. Zuletzt war, einmal mehr, das Entsetzen groß sich Arbeiter in Schlachtereien in großer Zahl mit dem Corona-Virus infizierten. Für einen kurzen Moment sah die Öffentlichkeit die miserablen Arbeitsbedingungen, die drangvolle Enge der Unterkünfte.

Es sind Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen und doch wird hier ein Muster deutlich: Besonders häufig machen diese Arbeiten Frauen*, Menschen mit Migrationsgeschichte und BPoC, sozial schlechter gestellte und wenig privilegierte Menschen. Der Fakt, dass gerade hier monetäre und gesellschaftliche Wertschätzung fehlt, zeigt, wie Abwertung von Frauen, Rassismus und Klassismus Hand in Hand gehen.

Diesem Dienstleistungsprekariat ist eines gemeinsam: Es wird nur selten über Mindestlohn bezahlt, häufig darunter, und Menschen damit die Chance verwehrt, im Laufe ihrer Lebensarbeitszeit eine Rente über dem Niveau der Grundsicherung aufzubauen. Genauso wenig ist eine Rücklagenbildung für besondere Härten möglich, so dass allgemeine Lebensrisiken mit voller Wucht zuschlagen. Die geringen Einkommen sind gerade in Großstädten wie Berlin, mit seinen explodierenden Mieten, ein Katalysator für Gentrifizierung, Verdrängung und die Spaltung der Stadtgesellschaft. Ein sogenannter „sozialer Aufstieg“ ist in den neuen wie alten Jobs der Dienstleistungsbranche nicht oder nur im begrenzten Maße vorgesehen und möglich. Dies führt nicht nur zu individueller Perspektivlosigkeit, sondern wird die soziale Durchlässigkeit zwischen gesellschaftlichen Milieus weiter schließen. So wird aus der sozialen Schere eine soziale Mauer.

1950 arbeiteten noch 24,6 Prozent der Menschen in der Land- und Forstwirtschaft, 42,9 Prozent im produzierenden Gewerbe und 32,5 Prozent im Dienstleistungssektor. 2019 waren es 1,3 Prozent in der Land- und Forstwirtschaft, 24,1 Prozent im produzierenden Gewerbe und 74,5 Prozent im Dienstleistungssektor[11]. Ein Trend, der sich weiter fortsetzen wird, gerade angesichts einer stetig steigenden Produktivität, auch durch die zunehmende Digitalisierung von Produktionsprozessen. Dienstleistungen sind und werden zunehmend stärker der Kern unserer Arbeitswelt. Zukunftsfähig werden wir nur, wenn wir das Dienstleistungsprekariat beenden und den Wert von Arbeit neu bemessen. Nur wenn das gelingt, können wir die soziale Spaltung überwinden.

Zunächst bedeutet dies, dass die Absicherung nach unten stärker werden muss. Ein Mindestlohn von 9.35 Euro ist viel zu niedrig. Unser Ziel muss sein, dass Menschen bei diesem Lohn im Alter eine Rente oberhalb der Grundsicherung bekommen. (Die derzeitigen 12,50 Euro des Berliner Vergabemindestlohns und eine regelmäßige Anpassung können hier nur der Ausgangspunkt sein.)

Zweitens müssen wir den prekären Minijob-Arbeitsmarkt eindämmen und überwinden. Wir waren unter Rot-Grün beteiligt, als dieser massiv forciert wurde, daraus entsteht eine besondere Verantwortung dafür, diesen Fehler endlich zu korrigieren. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) gab es im Oktober 2019 knapp 7,6 Millionen Minijobber*innen in Deutschland – sie fahren Essen aus, reinigen Wohnungen, kellnern, arbeiten im Einzelhandel, in Friseurläden und in der Kinderbetreuung. Eine angemessene soziale Absicherung ermöglichen ihnen diese Tätigkeiten aber kaum. In der aktuellen Krisensituation sind sie nicht einmal berechtigt, Kurzarbeitergeld zu erhalten. Wir müssen den Niedriglohnsektor trockenlegen, Werkverträge massiv zurückdrängen, Minijobs abschaffen und sie in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen umwandeln. Nur so können diese Beschäftigten auch Teil des gesamten Wandels der Gesellschaft werden, von der unten in diesem Text beschriebenen Arbeitsversicherung profitieren und perspektivisch ein angemessenes Auskommen entwickeln.

Drittens müssen wir dafür sorgen, dass wieder mehr Menschen tariflich entlohnt werden. Auch hier ist die Pflege ein Beispiel, das wir nach der Corona-Krise nicht vergessen sollten. Seit Jahren weigern sich private Anbieter von Pflegedienstleistungen über Tarifverträge zu verhandeln. Wir dürfen uns dieses Verhalten als Gesellschaft nicht länger gefallen lassen. Wir müssen einerseits die Arbeit von Gewerkschaften und Betriebsräten stärken und andererseits in einer zunehmend kleinteiliger ausdifferenzierten Gesellschaft dafür sorgen, dass Menschen auch dort anständige Arbeitsbedingungen haben, wo es Gewerkschaften nicht schaffen, das alleine durchzusetzen.

Viertens muss der Staat aufhören, sich am Lohndumping zu beteiligen. Er hat in den letzten Jahrzehnten selbst am neoliberalen Wettbewerb auf den unterschiedlichsten Ebenen dazu beigetragen, indem er Personal abgebaut, unter schlechterer Bezahlung in privatrechtliche Gesellschaften überführt oder öffentliche Aufträge allein an Wirtschaftlichkeitskriterien ausgerichtet hat. Dieses Outsourcing muss gestoppt und Kernaufgaben des Staates wieder rekommunalisiert werden.

2.3. Erwerbslosigkeit ist kein individuelles Verschulden.

Das Stigma muss enden und Sozialsysteme müssen Brücken durch das Leben bauen statt Menschen abzuspeisen.

Erwerbslosigkeit ist selbstverschuldet, wer keinen Job hat sollte sich mehr anstrengen und wer Sozialleistungen erhält soll sich in Dankbarkeit üben – dies ist das Muster der Debatte, das sich seit der Agenda 2010 in unsere Gesellschaft gefressen hat, Menschen stigmatisiert und an den Rand der Gesellschaft drängt. Längst haben sich auch an dieser Stelle Klassismus, Rassismus und Sexismus verschränkt und treten gebündelt auf. Gerade Frauen mit häufig durch Auszeiten für Erziehung und Pflege extrem „gebrochenen“ Erwerbsbiographien, leiden unter dem System. Ein rassistischer Diskurs, der immer wieder mit Assoziationen ganze Bevölkerungsgruppen stigmatisiert – zum Beispiel, weil sie ein Kopftuch tragen, hat sich tief im Öffentlichen Raum festgesetzt. Prekär und BPoC ist für viele zum natürlichen gedanklichen Dauerkonstrukt geworden. Corona hat erneut gezeigt, wie falsch diese Annahme ist.

Die Pandemie ist eine Krise, die die ganze Gesellschaft auf einmal trifft. Millionen Menschen drohten in die Arbeitslosigkeit zu rutschen, sind auf Unterstützung durch die Allgemeinheit angewiesen – und niemand geht davon aus, diese Menschen hätten persönlich Schuld daran oder seien ausgesprochen faul gewesen. Was in der Corona-Krise gilt, ist auch sonst richtig: Arbeitnehmer*innen waren nicht Schuld an der Finanzkrise 2008 und dennoch verloren viele in der Krise ihren Job. Industriearbeiter*innen tragen keine Schuld, wenn ihr Job durch die Digitalisierung wegfällt und sie sich völlig neu orientieren müssen. Frauen tragen keine Schuld, wenn sie nach Erziehungszeiten Probleme haben den Anschluss auf dem Arbeitsmarkt zu finden. Und auch Mechaniker*innen in den großen Auto-Werken sind nicht selber schuld, wenn ihre Jobs ersetzt werden, weil es der Klimawandel erfordert auf Elektromobilität umzusteigen. Es ist Zeit für einen grundsätzlichen Perspektivwechsel, zum Wohle aller:

Die Corona-Pandemie hat vielen Menschen eines gezeigt: Es gibt Brüche im Leben, die es nötig machen Leistungen der Allgemeinheit zu beantragen. Menschen, die Sozialleistungen beantragen tun dies nicht, weil sie „Versager*innen“ sind, sondern weil die Umstände sie dazu zwingen. Genau diese Erkenntnis müssen wir uns bewahren.

Unsere sozialen Sicherungssysteme sollten zweierlei erfüllen: Zum einen sollen sie Menschen vor Armut und sozialem Absturz bewahren. Zum anderen sollen sie die Funktion übernehmen, Menschen eine Brücke in den nächsten Lebensabschnitt zu bieten. Beides erfüllt das gegenwärtige Hartz IV-System nicht, wie die Corona-Krise eindrücklich zeigt.

Die eine Lehre muss sein: Die Hartz-IV-Sätze (432 Euro für Alleinstehende monatlich) sind zu niedrig. Sie werden derzeit berechnet, indem die Ausgaben der ohnehin schon armen Haushalte herangezogen werden, nur um anschließend nochmal den Rotstift anzusetzen und Kosten für Alkohol, Tabak, Eis im Sommer, das Handy oder die Schnittblumen künstlich weiter abzuziehen. Jede unvorhersehbare Entwicklung führt zu Not und Existenzangst – und sei es nur, dass die Kinder kein kostenloses Essen mehr in der Schule bekommen.

Die Berechnung dessen, was Menschen mindestens „zusteht“, muss auf völlig neue Füße gestellt werden. Die Sätze müssen deutlich steigen. Die Vorstellung es gehe hier um eine kleine Gruppe von Menschen ist grundfalsch. Die meisten Menschen arbeiten in Jobs, in denen es im Laufe des Lebens nicht unwahrscheinlich ist, dass sie für eine gewisse Zeit auf Sozialleistungen angewiesen sein werden.

Genau hier setzt die zweite Lehre aus Corona an: Sozialsysteme müssen eine sichere Brücke sein. Gerade angesichts der enormen Veränderung die wir als Gesellschaft angesichts von Digitalisierung und Klimawandel vor uns haben. Das Bild der Hängematte, das von Neoliberalen gerne ins Feld geführt wird, um ganze Gruppen von Menschen zu stigmatisieren, ist menschenverachtend und muss aus dem Denken und den Debatten verschwinden.

Um sichere Brücken, ohne Stigma, ohne Diskriminierung und Ausgrenzung zu organisieren, müssen wir Hartz IV hinter und lassen. Wir brauchen eine neue Garantiesicherung, auskömmlich und ohne Sanktionen. Der Weg geht von der Arbeitslosenversicherung zu einer universellen Arbeitsversicherung, die Menschen ein Leben lang begleitet, fördert statt fordert, Weiterbildung anbietet, offen ist für Zuverdienste, die Wechsel zwischen Erwerbs- und Sorgearbeit unterstützt, Hilfe bei Neuorientierung im Leben leistet und eine sichere Brücke schlägt, wann immer nötig. Die gerade wieder aufgeflammte Debatte über ein Bedingungsloses Grundeinkommen zeigt, dass es an der Zeit ist, konkrete Schritte in diese Richtung zu gehen.

2.4. Zivilgesellschaft braucht finanzielle und Rechtssicherheit

Die Kräfte, die die Gesellschaft spalten wollen, werden stärker. Eine liberale Demokratie der Vielfalt und der Gleichheit braucht eine starke Zivilgesellschaft

Ein solidarisches und inklusives Gemeinwesen entsteht nur durch eine starke Zivilgesellschaft – sei es in Form von NGOs und Aktivist*innen, durch bürgerschaftliches Engagement, durch den zivilen Druck von unten oder durch den Protest von marginalisierten Gruppen. Eine klassismus-, rassismus-, und sexismuskritische Gesellschaft entsteht zuvörderst durch Menschen, die sich aktiv gegen Ausgrenzung und Diskriminierung stemmen, die sich gegen die rechte Propaganda von sogenannten „besorgten Bürgern“ oder gegen rechte Verschwörungstheorien wehren und allen Umtrieben am rechten Rand eine antifaschistische Absage erteilen. Es braucht Menschen, die den (institutionellen) Rassismus in der Mitte der Gesellschaft klar benennen und für Gleichbehandlung aller Bürger*innen im Sinne des Grundgesetzes streiten. Politik kann gestaltende Rahmenbedingungen für eine plurale und solidarische Gesellschaft setzen. Sie ist aber – zurecht – nicht in der Lage, von oben eine Gesellschaft zu steuern. Solidarität und Gemeinwohl, Teilhabe und Gleichbehandlung können nur durch eine starke, emanzipatorische Zivilgesellschaft immer wieder neu vorangetrieben und getragen werden.

Die Corona-Krise hat dies erneut unübersehbar zu Tage befördert: Viele Stimmten übten berechtigte Kritik, als in Berlin die erste Fassung der Eindämmungsverordnung eine allgemeine Ausweispflicht enthielt. Sie fürchteten zurecht eine Zunahme von Racial Profiling und polizeilichem Druck auf vulnerable Gruppen. Der Berliner Senat korrigierte die Maßnahme kurze Zeit später. In der Diskussion um Grundrechte, z.B. die Demonstrationsfreiheit, sind es zivilgesellschaftliche Stimmen, die immer wieder zur Reflektion mahnen. Genauso verhält es sich mit den Debatten über Kriterien der Triage, bei denen Verbände von Menschen mit Behinderungen zurecht eine lebensbedrohliche Diskriminierung ausmachen. NGOs sind es, die derzeit in neuen Formen der Kommunikation Beratungs- und Empowermentarbeit leisten, die Menschen bei Diskriminierung oder Jobverlust unterstützen, sie bei existentiellen Nöten auffangen und durch den Dschungel von Anträgen und Behörden lotsen. Und vor dem Hintergrund der sich am rechten Rand zunehmen zusammenbrauchenden Verschwörungsallianzen brauchen wir mehr zivilgesellschaftliche Akteur*innen, die offensiv für die Werte der liberalen Demokratie eintreten.

Es ist die Aufgabe der Politik diesen Einsatz zu würdigen, abzusichern und auf eine solide und verlässliche Grundlage zu stellen – gerade in und nach der Krise. Dabei ist es zentral, zivilgesellschaftliche Strukturen verlässlich zu fördern. Die finanziellen Auswirkungen der Pandemie dürfen eben nicht dazu führen, dass es in den überschaubaren Förderstrukturen und Fördervolumen für die zivilgesellschaftlichen Projekte zu Kürzungen oder Kahlschlägen kommt. Das Gegenteil ist notwendig: Auf Bundesebene muss das Programm „Demokratie Leben“ mit seinem Mittelansatz auf mindestens 200 Millionen Euro pro Jahr aufgestockt und die Förderrichtlinien so erweitert werden, dass die zivilgesellschaftlichen Projekte im Mittelpunkt stehen. Das kann aber nur ein erster Schritt sein. Zur strukturellen Unterstützung und dauerhaften Absicherung des zivilgesellschaftlichen Engagements über den Bundeshaushalt – unabhängig von politischen Mehrheiten – braucht es endlich eine rechtliche Grundlage. Wir fordern ein Ende der politischen Spielchen durch die Große Koalition und den umgehenden Beschluss eines echten Demokratiefördergesetzes.

Rechtlich muss aber auch an einer zweiten Stelle nachgesteuert werden, damit zivilgesellschaftliche Organisationen frei arbeiten können, ohne Angst haben zu müssen, vom Finanzamt von heute auf morgen in der Existenz bedroht zu werden. Es hat tiefe Spuren in der Zivilgesellschaft hinterlassen, dass Attac, Campact aber auch die VVN-BdA die Gemeinnützigkeit verloren haben und dass die CDU regelmäßig damit droht, auch der Umwelthilfe die Gemeinnützigkeit entziehen zu wollen – wir brauchen eine Modernisierung und Weiterentwicklung des Gemeinnützigkeitsrechtes. Künftig muss klar sein, dass sich NGOs, die sich politisch engagieren und sich dabei im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegen, nicht ihre Steuerbegünstigung verlieren. Gerade angesichts der großen Lobbymacht internationaler Konzerne ist dies eine zentrale Frage der Zukunft unserer gemeinwohlorientierten Demokratie.

3. Fazit: Es gibt kein Zurück mehr

Die Corona-Krise wirkt in vielfacher Hinsicht: Entwicklungen, die ohnehin in der Gesellschaft zu erkennen waren, werden schneller und noch viel deutlicher sichtbar. Problemlagen verschärfen sich. Die gesellschaftlichen Herausforderungen beschleunigen sich. Das Überwinden der Pandemie gibt uns zugleich die Chance, Fehlentwicklungen zu erkennen und darauf zu reagieren. Aus Prinzip alles auf den Stand vor der Krise zurück zu drehen, wäre genau die falsche Schlussfolgerung. Die Zukunft liegt in einer neuen Gemeinwohlorientierung, in gesellschaftlicher Solidarität und Teilhabe, die sich nicht in Phrasen erschöpft, sondern ganz konkret wird, in einer Sicherung der Daseinsvorsorge und einer starken Zivilgesellschaft für eine plurale Demokratie. Es gibt kein Zurück mehr!


[1] https://twitter.com/annewilltalk/status/1257062951380451329

[2] https://www.facebook.com/TrevorNoah/posts/10158351635592453; (Ca. ab Minute 2.00)

[3] Vgl. SPIEGEL Nr. 22 /23.05.2020

[4] https://www.spiegel.de/politik/ausland/coronavirus-in-den-usa-afroamerikaner-sind-haerter-betroffen-a-60bfea78-dc87-482d-8fb9-151a50a3ee20

[5] https://de.statista.com/infografik/21148/anteil-der-sozialversicherungspflichtig-beschaeftigten-nach-wirtschaftszweigen/

[6] https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Migration-Integration/Publikationen/Downloads-Migration/migrationshintergrund-2010220187004.pdf?__blob=publicationFile S. 34, 56, 402;

https://www.welt.de/wirtschaft/article175547155/Migration-In-diesen-Jobs-sind-Auslaender-unentbehrlich.html

[7] https://www.welt.de/wirtschaft/article207901783/Schlachthoefe-als-Corona-Hotspots-Verantwortungslosigkeit-bedroht-Gesundheit.html

[8] https://statistik.arbeitsagentur.de/Statischer-Content/Arbeitsmarktberichte/Berufe/generische-Publikationen/Altenpflege.pdf

[9] https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/coronavirus-kinderarmut-arche-100.html

[10] https://www.merkur.de/politik/corona-bmw-bayern-soeder-dividende-quandt-abwrackpraemie-neuwagen-autopraemie-kaufpraemie-e-mobilitaet-zr-13764054.html; https://www.cnbc.com/2020/05/21/american-billionaires-got-434-billion-richer-during-the-pandemic.html

[11] https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Konjunkturindikatoren/Lange-Reihen/Arbeitsmarkt/lrerw13a.html

Hier geht es zum Beitrag von Andreas und Sebastian als pdf.

Autor: Andreas Audretsch und Sebastian Walter

Sebastian Walter ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Andreas Audretsch ist Mitglied im Landesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen Berlin.

Ein Kommentar

  1. Da steht viel Richtiges drin – gut, dass wir wenigstens mal anfangen, unsere Rolle in der neoliberalen Umgestaltung dieser Gesellschaft (Hartz IV etc.) mal zu hinterfragen. Dann bleibt’s aber doch wieder bei Reformvorschlägen, die den Kern des Problems nicht angehen, der Begriff „plurale Ökonomik“ fällt genau so wenig, wie hier eine sozial-ökologische Perspektive abseits des Kapitalismus gezeichnet wird.
    So wird man der Neoklassik nicht Herr, fürchte ich. Was es braucht, ist das grundlegende Eingeständnis des totalen Versagens des Kapitalismus, sei es in sozialer, menschlicher oder ökologischer Hinsicht – als Basis für ein zukunftsgewandtes, visionäres Denken. Uns sind die Utopien nämlich etwas abhanden gekommen, das betrifft leider auch diesen, von vielen richtigen und wichtigen Erkenntnissen durchzogenen Artikel.