Gastbeitrag von Agnieszka Brugger MdB, stellvertretende Fraktionsvorsitzende
Nach vier langen Jahren Donald Trump und fast einer Woche Wahlkrimi konnten viele Menschen am 7. November aufatmen. Die Wahl von Joe Biden zum US-Präsidenten ist ein gutes Zeichen für die USA und die Welt. Und die Wahl von Kamala Harris zur Vize-Präsidentin ein feministischer Wow-Moment mit riesiger Symbolkraft für alle kleinen Kinder und viele Menschen weltweit. Ja, es bleiben große Probleme und Herausforderungen, sie verschwinden nicht mit dieser Wahl. Die Zusammenarbeit wird nicht immer einfach sein, aber mit diesem Präsidenten wird sie zumindest überhaupt wieder möglich. Darin liegt eine große Chance in den kommenden Jahren.
Ein politischer Sieg – aber auch ein moralischer?
In den Jubel und die Erleichterung mischte sich trotzdem auch große Ernüchterung. Zum einen erweist sich Donald Trump erwartungsgemäß als extrem schlechter Verlierer. Er verbreitet trotzig Verschwörungstheorien und behauptet, der Wahlsieg wäre ihm gestohlen worden. Weil seine Basis unverdrossen zu ihm hält, unterstützen ihn auch viele führende Republikaner*innen. Die nächsten Wochen des Übergangs werden deshalb schwierig werden. Donald Trumps Strategie zielte von Anfang an darauf ab, auch den demokratischen Prozess anzugreifen und zu beschädigen, wenn das seinen Interessen dient. Der dadurch entstandene Schaden bleibt über den Wahltag hinaus bestehen, insbesondere wenn die Wahlen von seinen Anhänger*innen dauerhaft als nicht legitim betrachtet werden.
Angesichts des schier unendlichen Stroms von Lügen, Hass und Verachtung für demokratische Normen, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte hatten sich viele Menschen nicht nur in den USA eine sehr viel deutlichere Abwahl von Donald Trump gewünscht. Das war angesichts der Zustimmungswerte für Donald Trump unter Anhängern der Republikaner über die letzten vier Jahre vermutlich ein Trugschluss. Es ist deshalb auch wenig überraschend, das der Sieg von Joe Biden und Kamala Harris die tiefen Gräben nicht schließt, die weiter zwischen den beiden politischen Lagern liegen. Joe Biden hat angekündigt, Präsident aller Amerikaner*innen sein zu wollen. Seine Präsidentschaft wird eine der Reparatur sein. Wir sollten alle hoffen, dass es ihm gelingt, nicht nur ein besserer Commander in Chief, sondern vor allem ein guter Healer in Chief zu sein.
Wer hat wo warum gewonnen?
Joe Biden und Kamala Harris haben es geschafft, sowohl im Mittleren Westen, als auch im sogenannten “Sunbelt”, dem wirtschaftlich und demographisch dynamischen Süden der USA, zu punkten. Nicht nur die Bundesstaaten des Mittleren Westens, Wisconsin, Michigan und Pennsylvania, gingen an die Demokraten. Auch in Arizona und in Georgia gelang es ihnen, knappe Mehrheiten zu erringen. Die Gründe dafür sind vielfältig, aber es scheinen vor allem die starke Unterstützung der Afroamerikaner*innen in den Großstädten, Stimmen von moderaten Weißen in Vorstädten sowie die teilweise starke Zustimmung durch Latinas und Latinos gewesen zu sein, die für diese Mehrheiten gesorgt haben.
Bei den vielen anderen Wahlen, die zeitgleich stattfanden, ist das Bild unübersichtlich. Zu verschieden sind die Ergebnisse, um eine simple Schlussfolgerung zuzulassen. Das Kräfteverhältnis im Senat bleibt weiter unklar. Eine knappe republikanische Mehrheit scheint wahrscheinlich, aber es könnte den Demokraten auch noch gelingen, bei den Stichwahlen in Georgia am 5. Januar das Blatt zu wenden. Im Repräsentantenhaus schmilzt die Mehrheit der Demokraten, in vielen Wahlen auf Bundesstaaten-Ebene gewannen die Republikaner. Gleichzeitig wurde eine Vielzahl progressiver Staatsanwält*innen und Sheriffs gewählt, die strukturellen Rassismus in der Justiz und bei der Polizei angehen wollen. Florida stimmte für einen Mindestlohn von 15 Dollar und in mehreren Staaten wurde Marihuana legalisiert.
Angesichts dieses durchwachsenen Gesamtbildes ist unter den Demokrat*innen eine Debatte darüber entbrannt, ob nun progressive oder moderate Themen und deren Anführer*innen dafür verantwortlich sind, dass die Ergebnisse nicht so ausfielen, wie von vielen erhofft. Klar scheint: die jungen progressiven Kräfte konnten neue Wähler*innen mobilisieren. Und die Biden-Harris-Kampagne war erfolgreich darin, eine möglichst breite Koalition zu schmieden. Indem sie Progressive wie Alexandria Ocasio-Cortez und Bernie Sanders auch inhaltlich einbanden und gleichzeitig den Dialog ins konservative Lager suchten. So entstand beispielsweise ein Klimaplan, der zwar immer noch nicht weit genug geht, aber sowohl von Aktivist*innen als auch Gewerkschaften in den USA unterstützt wird.
Joe Biden und die Demokrat*innen waren auch deshalb erfolgreich, weil sie sich nicht dazu drängen ließen, Sozialpolitik gegen die Rechte von marginalisierten Gruppen auszuspielen. Die erfolgreichen Kampagnen von Joe Biden, aber auch progressiven Kandidat*innen auf allen Ebenen zeigen sehr anschaulich, dass Fragen wirtschaftlicher Gerechtigkeit mit gesellschaftlicher Solidarität verbunden werden sollten, um Mehrheiten gewinnen. President Elect Biden muss nun unter erschwerten Bedingungen mit einem möglicherweise gespaltenen Kongress zeigen, dass er diesen Anspruch auch in konkrete Politik umsetzen kann.
Internationale Politik als Dialog statt als Schrei-Kampf
Joe Biden und seine Regierung werden sich ab Januar auf die enormen innenpolitischen Herausforderungen, allen voran auf die in den USA mittlerweile völlig außer Kontrolle geratene Corona-Pandemie, konzentrieren müssen. Mit seinem Versprechen, wieder dem Pariser Klimaabkommen beizutreten und die amerikanische Wirtschaft klimafreundlicher zu machen, gibt es einen wichtigen und drängenden Punkt für internationale Zusammenarbeit.
Trotzdem sollten wir nicht damit rechnen, dass die USA direkt mit dem Level an Engagement auf die internationale Bühne zurückkehren werden, welches vor Donald Trump der Normalfall war. Denn auch davor hatte Barack Obama gefordert, die EU müsse sich mehr um ihre eigene Nachbarschaft kümmern. Wahrscheinlicher ist es, dass Joe Biden zumindest für eine begrenzte Zeit den Schwerpunkt seines politischen Kapitals für die Innenpolitik aufwenden wird. Trotzdem dürfen wir erwarten, dass die USA unter Joe Biden sich erneut in vielen wichtigen Fragen wie als konstruktiver Partner erweisen und für die gemeinsame Lösung internationaler Probleme wie dem Klimaschutz und der Rüstungskontrolle bereitstehen wird. Natürlich bleibt es bei transatlantischen Interessensunterschieden, die auch schon vor der Präsidentschaft von Donald Trump bestanden, wie etwa in Fragen der Militärausgaben oder der Stationierung von Atomwaffen. Die EU wird deshalb selbstbewusster und eigenständiger handeln müssen.
In der deutschen Debatte wird nun viel über eine souveränere EU gesprochen. Das ist richtig und wichtig, aber lädt zu Missverständnissen ein. Denn viele Konservative meinen mit mehr Souveränität vor allem mehr Verteidigungsausgaben, mehr Rüstung, mehr Militär. Unions-Politiker*innen, allen voran Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, erklären auch jetzt wieder höhere Verteidigungsausgaben zur Wunderwaffe, die alle Konflikte lösen soll. Das ist eine ziemlich veraltete, faule und sehr teure Antwort auf eine viel komplexere Herausforderung. Damit die EU wirklich souveräner auftreten kann, braucht sie viel mehr klare Positionen zu den vielen globalen Herausforderungen. Sie braucht mehr politisches Kapital und muss auch bereit sein, die eigene wirtschaftliche Macht einzusetzen, um Werten wie Klimaschutz und Menschenrechte Nachdruck zu verleihen. Dafür braucht es nicht mehr Militär, sondern mehr kluge Diplomatie und mehr Mut zu einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik. Daraus können dann auch neue Projekte der transatlantischen Zusammenarbeit entstehen.
“Democracy is not a state. It is an act.”
Mit diesem Zitat des verstorbenen Kongressabgeordneten John Lewis brachte die gewählte Vizepräsidentin Kamala Harris den fortwährenden Kampf für Demokratie in ihrer Rede nach der Wahl auf den Punkt. Demokratie ist kein Zustand, sie muss gelebt werden. Die Präsidentschaft von Donald Trump hat gezeigt, wie Verunsicherung und Vorurteile ausgenutzt werden und demokratische Normen und Vertrauen in die Regeln unseres Zusammenlebens massiv in Frage gestellt werden können. Gesellschaftliche Gräben sind schnell ausgehoben, sie wieder zuzuschütten und zu überwinden, dauert deutlich länger. Die letzten Monate und Jahre müssen daher auch uns eine Lehre sein. Auch wir müssen unsere Demokratie besser schützen, gegen Hass, Lügen, Rassismus und alle Versuche, den demokratischen Prozess lächerlich zu machen.
30. November 2020 um 16:07
Keine Ahnung, ob Deutschland mehr oder weniger Militär braucht. Aber das deutsche Militär soll modern ausgestattet sein. Da feht es wohl sehr. Bei der Beschaffung wird in der EU soviel gestritten, gerangelt, das die Beschaffung ewig lang dauert, ziemlich teuer wird. Also die Militärorganisation in Deutschland – EU ist verfilzt, verkruschtet, zu langsam, uneffektiv, von Lobbiisten bestimmt.
Kein Wiederspruch, das wirtschaftliche Macht für politische Interessen eingesetzt werden kann und eingesetzt werden sollte.
Konkret führen die USA ihre Dronenkriege von Deutschland aus, im eigenen Land könnte man einiges für den Weltfrieden und für eine Abrüßtung tun.
Schußendlich, Trump ist in den USA an die Macht gekommen, weil unter anderen viele Millionen weiße Wähler denken, das sie unter den etablierten Politikern zu den Verlierern im eigenen Land gehören.
In der BRD hat die AFD viele Wählerstimmen, weil ein nicht geringer Teil der Bevölkerung soziale Nachteile durch unsere gesellschaftliche Entwicklung befürchtet oder real erlebt.
Ob in USA, BRD oder EU, die sozialen Fragen, Ungleichgewicht, der Wohlstandsverteilung und Verteilung der Kosten Corona, Automatisierung, Umweltschutz und Klimawandlung werden die nächsten 10 Jahre politisch stärker bestimmen, als es die letzten 10 Jahre der Fall gewesen ist.
Sory wie den langen Komentar. 🙂
2. Dezember 2020 um 21:03
Völlig richtig. Damit die Positionen der EU aber klarer werden können, muss sie reformiert werden. Die Macht der Einzelstaaten muss reduziert werden, indem insbesondere die Veto-Option abgeschafft wird, das Parlament muss mehr Entscheidungsbefugnisse bekommen, auch gegen den Rat. Das allerdings ist ein dickes Brett, das zu bohren ist.