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Wir drohen Piketty zu verschlafen

Freitagabend, Mitte Oktober, Berlin. Über 2000 Menschen stehen Schlange um ihn zu hören. Nur 1000 passen in den Saal, der Rest muss sich mit einem Livestream im Foyer begnügen. Thomas Piketty in Berlin.

Nach den USA und Frankreich schwappt die Piketty Welle nach Deutschland. Menschen lechzen nach Ökonomen, die nicht neoklassische Mainstreamformeln aus der BWL Vorlesung herunterbeten.

Menschen, die nicht an Rendite- und einseitig wachstumsorientierte Wirtschaftsmodelle glauben. Menschen, die hinterfragen wie steigende Ungleichheit und Ressourcenverbrauch an moralische und ökonomische Grenzen stößt.

Steigende Ungleichheit und Ressourcenverbrauch sind zwei Seiten der selben Medaille.

Zwei Wochen später treffen wir Grüne uns in Hamburg zum Bundesparteitag. 70% der Menschen wissen nicht mehr wofür wir Grüne stehen und wir vermitteln den Eindruck, dass die spannendsten Fragen sind ob wir noch für einen fleischlosen Donnerstag streiten oder dass wir uns gegenseitig über Medien die Welt erklären. Die Grüne Selbstblockade führt dazu, dass wir zentrale gesellschaftliche Diskussionen verschlafen.

Gerade wer über Freiheit redet, muss die soziale Frage stellen und Antworten liefern.

Wer glaubt, dass man ökologische und Verteilungsfragen voneinander entkoppeln kann ist naiv und irrt.

Ökonomische Ungleichheit führt nicht nur zu mehr gesellschaftspolitischen Problemen, wie  Krankheit, Kriminalität und generelle Unzufriedenheit. Sie schließt auch das Fenster für eine ökologisch nachhaltige Gesellschaft.

Auch deshalb ist ein stärkere Umverteilung Grüne Kernidentität.

Es gibt überhaupt kein Argument dafür unsere ambitionierte Umverteilungspolitik aus der Bundestagswahl nur deshalb aufzugeben, weil organisierte Interessenvertreter der Industrie dagegen polemisieren.

Anstatt Ihnen argumentativ hinterher zu laufen und die Sparpolitik der Troika rechts zu überholen, müssen wir mit Leidenschaft für eine sozial ökologische Politik kämpfen, die vor allem Menschen mit wenig Einkommen in den Fokus nimmt.

Dazu müssen aber auch alle bereit sein. Weg ducken gilt nicht!

Wer über Freiheit redet, muss die soziale Spaltung vor Augen haben. Wir müssen unsere Finanzkompetenz in Europa, Bund und durch unsere Länderministerien dazu nutzen Vermögens- und Erbschaftssteuermodelle zu entwickeln, die der politischen Debatte Stand halten.

Wir sollten uns gleichzeitig verpflichten in den Ländern die Einnahmen aus dieser Steuer einzig und allein zur Finanzierung des Bildungssystems zu verwenden. Eine Gerechtigkeitssteuer, die dazu dient unser marodes Bildungssystem besser zu finanzieren.

Umverteilung für mehr Bildung – dies sollte eine Grüne Antwort auf die Piketty Debatte sein. Ich bin gespannt, ob wir Grüne uns noch trauen mutige Vorschläge zu machen.

Autor: Rasmus Andresen

Rasmus Andresen ist Flensburger Landtagsabgeordneter und Kandidat zur Europawahl 2019.

2 Kommentare

  1. Zustimmung: Wir wollen nicht, dass Milliardäre und Multi-Millionäre jedes Jahr reicher werden, während andere täglich Sorgenfalten wegen der Frage bekommen, wie sie sich und ihre Familie versorgen sollen. Doch in Sachen Steuern ist gleichzeitig auch GRÜNE-Selbstkritik notwendig: Wir GRÜNE sollten nicht darauf pochen, sämtliche Forderungen im Wahlprogramm auch dort bereits gegenfinanzieren zu können. Das hört sich blauäugig an, aber in einer Koalition werden wir doch auch nicht sämtliche Forderungen durchbekommen, müssen also in der Realität auch nur einen Teil unserer Forderungen gegenfinanzieren. Und entscheidend ist nun einmal die Realität, entscheidend ist der Koalitionsvertrag. Zudem gibt es leider keinen Ehrlichkeits-Bonus für die Ankündigung von Steuererhöhungen, Frau Merkel hat das 2005 gemerkt und wir spätestens 2013.

    Ich rechne meinem Sohn auch nicht vor, was seine weihnachtliche Wunschliste kosten würde und wie ich dieses ggf. gegenfinanzieren würde. Stattdessen bekommt er nur den Teil erfüllt, den meine Frau und ich für sinnvoll und/oder bezahlbar halten. Und diese realen Geschenke bezahlen wir dann auch, nicht aber die hypothetische Wunschliste. Diese Metapher kann gerne auf den Unterschied zwischen dem Wahlprogramm und dem Koalitionsvertrag angewendet werden:

    Der Weg, davon auszugehen, dass wir alle Forderungen durchbekommen und daher schon entsprechende Steuererhöhungen anzukündigen, war kein guter und sollte nicht erneut beschritten werden. Das bedeutet doch nicht, dass wir Steuererhöhungen im Geiste einer Ersatz-FDP prinzipiell abschwören, sondern nur, dass wir die Konzepte parat haben, sie nur im nötigen Maße einsetzen und daher auch nicht so ankündigen, als ob wir unser Programm zu 100% umsetzen könnten. Die Finanzierung des Koalitionsvertrages ist sicherzustellen, nicht aber die Finanzierung des Wahlprogrammes.

    In der Realität, nach der Wahl und in einer Koalition müssen wir schließlich nur das gegenfinanzieren, was wir auch realistisch machen können. Die Gegenfinanzierung für eine Alleinregierung der Grünen vorzulegen, war einfach übereilt und hat uns bekanntlich leider 2013 zudem viele Prozente gekostet. Eine Korrektur dieses Ansatzes ist nötig, diese Korrektur fordere ich hiermit ein.

  2. Ich teile die Meinung von Herrn Schmagold, dass man mit dem Thema Steuererhöhung immer sehr überlegt umgehen muss, weil man sofort damit im Feuer steht. ABER gleichzeitig würden sich die Grünen wohltuend von allen anderen abheben, wenn sie zumindest ein Mindestmaß an Ehrlichkeit dokumentieren. Ich glaube, dass man damit in der Öffentlichkeit inzwischen punkten kann. Daneben besteht der neue Aspekt in der Piketty Debatte doch genau darin, dass Ungleichheiten auf der Vermögens- und Einkommensseite thematisiert werden. Hier gibt es ganz sicher auch eine Menge unaufgeregte Lösungen, die in der Öffentlichkeit verkauft werden können. Wichtig ist dabei aber, dass das alles völlig ideologiefrei und pragmatisch rüberkommt. Ein schönes Beispiel ist die Erbschaftssteuer. Die ganze aufgeregte Diskussion über das Betriebsvermögen lässt sich doch ganz einfach durch den Vorschlag auflösen: wenn die Steuerschuld nicht unmittelbar bezahlt werden kann, dann tritt der Staat bis auf weiteres als Stiller  Gesellschafter ein. Seinen Anteil am Betriebsgewinn gibt es im Rahmen der jährlichen Steuererklärung des Unternehmens, ansonsten hält er sich raus aus dem Tagesgeschäft. Kombiniert mit ausreichenden Freibeträgen – fertig ist die Lösung. Das müsste mal mit Steuerexperten im Detail diskutiert werden, aber ich kann nicht sehen, welche öffentlich vertretbaren Argumente dagegen sprechen könnten.

    Beste Grüße Stephan Frank, Berlin