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Nachhaltige Mobilität: Bitte nicht so zaghaft, Grüne!

Grüne Forderungen und Programme enthalten in den Abschnitten Mobilität und Verkehr erfahrungsgemäß einige „Reizthemen“. Das Feld erscheint knifflig, weil sich der nachhaltige grüne Ansatz hier deutlich von den Vorstellungen sämtlicher ernsthafter Mitbewerber_innen unterscheidet. Das gilt nicht zuletzt für die Wunschkoalitionspartnerin. In den Koalitionen mit der SPD auf Länderebene sind Verkehrsprojekte oft auch die Konfliktthemen Nummer eins, bis hin zum nicht zustandegekommenen Bündnis in Berlin.

Das grüne Gedächtnis verbindet Verkehrspolitik auch mit Forderungen, die für schwächere Wahlergebnisse der Vergangenheit verantwortlich gemacht werden. „Magdeburg 1998“ ist dabei der Code, der oft verwendet wird, um eine eher zurückhaltende Programmatik im Bereich Mobilität und Verkehr zu begründen. Dabei übersieht diese Darstellung gerne, dass der damalige Beschluss inhaltlich zuerst der Steuerpolitik zuzurechnen war.

Für zu viel Zurückhaltung auf den eigentlichen Feldern der Mobilitätspolitik besteht daher kein Anlass. Auch die überwiegende Mehrheit der zum Programmentwurf eingereichten Änderungsanträge verfolgt das Ziel, das Programm schärfer, deutlicher und konkreter zu fassen.

Schließlich verdienen Ideen, mit denen die gesamte Politik in den Bereichen Mobilität und Verkehr nachhaltig und grün gemacht werden soll, durchaus ungeteilte Aufmerksamkeit, da hier ja auch Lösungsansätze für bedeutende aktuelle Probleme vorgestellt werden.

Zu denken ist dabei natürlich an das Themenfeld der „gescheiterten deutschen Großprojekte“, von denen „Stuttgart 21“ und der „Flughafen BER“ nur die bekanntesten, weil teuersten Beispiele sind. Die frühzeitige Einbindung der Bürger_innen bei der Projektplanung und -entwicklung ist dabei als Ansatz genauso unumstritten wie das Ziel, den Bundesverkehrswegeplan zu einem Bundesmobilitätsplan weiterzuentwickeln. Zusammen mit den von der BAG vorgeschlagenen Änderungen kann der Entwurf an dieser Stelle überzeugen.

Im Grundsatz ebenso unstrittig ist, dass der Schutz vor den negativen Folgen des motorisierten Individualverkehrs und des Flugverkehrs stärkere Beachtung verdient. Der grüne Ansatz der gleichberechtigten Mobilität für alle bedeutet eben auch, dass bestimmte Formen des Verkehrs nicht auf Kosten der Lebensqualität weiter Teile der Bevölkerung gehen dürfen. Zahlreiche Änderungsanträge fordern eine deutlich kritischere Positionierung gegenüber dem Flugverkehr und seinen Folgen, die aktuelle Debatte über die Subventionierung schwach ausgelasteter Regionalflughäfen zeigt, dass dieses Thema auch noch eine bedeutende haushaltpolitische Dimension besitzt.

Klar ist für uns auch, dass der Beitrag des Verkehrssektors zum Klimaschutz bislang nicht ausreicht. Zur Energiewende gehört die Verkehrswende untrennbar dazu.

Über die Wege dorthin gibt es allerdings durchaus unterschiedliche Auffassungen. Bei den Abschnitten zu Elektromobilität und der Rolle der Autoindustrie sind daher Kontroversen zu erwarten. Denn die starke Betonung von Elektroautos ist hochproblematisch. Sie lösen viele Probleme nicht, insbesondere der Platzanspruch des motorisierten Individualverkehrs in den Städten wird durch sie nicht geringer, genauso wie der Druck, immer mehr Straßen zu bauen. Die soziale Dimension grüner Mobilitätspolitik gerät dadurch ebenfalls in den Hintergrund, weil die Bedürfnisse derer, die aus unterschiedlichen Gründen von der Autonutzung ausgeschlossen sind, nicht hinreichend berücksichtigt werden.

Während hier mehrere Änderungsvorschläge noch Wege zu denkbaren Verbesserungen und Kompromissen zeichnen, wird das beim Abschnitt zur Bedeutung der Autoindustrie nicht gehen. Aus Berlin kommt der konsequente Ansatz, diesen Abschnitt – der ohnehin erst recht spät in den Entwurf Eingang fand – ganz zu streichen, weil es sich dabei um Industriepolitik handele, die im Wirtschaftsteil des Programms besser aufgehoben sei. Außerdem ist es befremdlich, gleichzeitig von der „strategischen Bedeutung“ des öffentlichen Verkehrs als einer der insgesamt größten Arbeitgeber in Deutschland zu schweigen. Andere Vorschläge plädieren für weniger umfassende Modifikationen. Die Debatte verspricht hier in jedem Fall interessant zu werden.

Mehrere Gliederungen haben festgestellt, dass der Fahrrad- und Fußverkehr ein wenig zu kurz kommt und unterbreiten großenteils sinnvolle Ergänzungsvorschläge.

Die Grüne Jugend, die sich bei diesem Kapitel ansonsten eher zurückhält, fordert uns mit der Idee heraus, das Konzept des ticketfreien ÖPNV in das Programm zu übernehmen. Da alle bisheŕigen praktischen Erfahrungen die herausragende Lenkungswirkung des ÖPNV-Fahrpreises bestätigen, spricht einiges für diesen Ansatz.

Diese Fragen der Gewichtung finden ihre Zuspitzung in der Kontroverse um das dritte Schlüsselprojekt für diesen Abschnitt. Hierzu liegen nun insgesamt vier konkurrierende Vorschläge vor, von denen nur zwei noch miteinander in Einklang zu bringen wären.

Zu viel Zurückhaltung ist nicht angebracht, wenn wir grüne Verkehrspolitik beschreiben. Ein wenig mehr Mut wird sich lohnen, denn Menschen, die mit der betonzentrierten Verkehrspolitik alter Schule nichts anfangen können, gibt es genug. Wir haben Angebote für sie, die wir nicht verstecken sollten.

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