Grün.Links.Denken

Gegen das neue Biedermeier!

Teile unsere Gesellschaft machen es sich im Privaten gemütlich und verabschieden sich aus dem Politischen. Doch das ist arrogant und gefährlich. Ein Plädoyer gegen das neue Biedermeier und was die neue Zeit für linke Parteien bedeutet. 

Im 19. Jahrhundert steht Napoleon gescheitert auf Elba und politische Erneuerung liegt in der Luft. Doch die Hoffnungen auf eine demokratische Neuordnung zerschlagen sich mit dem Wiener Kongress. Die Königshäuser tanzen und schnabulieren und teilen nebenbei Europa unter sich auf. Desillusioniert ziehen sich die nach Erneuerung sehnende Bürger*innen aus dem Politischen zurück und suchen ihr Glück im Privaten. Man richtet sich Lesezimmer ein und dekoriert seine Wohnung im Stil des Biedermeier. Trautes Heim, Glück allein.

Und heute? Ein aufregendes Jahr ist zu Ende gegangen, ein Neues beginnt. Österreich geht mit einer Rechtsaußen-Regierung in seine EU-Ratspräsidentschaft, in England geht der Brexit in die entscheidende Runde und in Frankreich muss der mit viel Euphorie gestartete französische Präsident Macron zeigen, ob er den Versprechungen Taten folgen lassen kann. Und Deutschland? Das politische Berlin schlafwandelt in die 3. Große Koalition unter Angela Merkel. Ist Deutschland damit die letzte Bastion der herrschenden bürgerlichen Mitte? Mitnichten. In Deutschland wütet ein Kulturkampf, den zu viele verdrängen.

So unterschiedlich unsere Epochen sind, so ist doch ein Vergleich interessant, denn: Der Rückzug von ehemals politisch Interessierten in das Private ist auch heute stark zu beobachten. Das neue Biedermeier macht sich in urbanen Stadtvierteln bemerkbar, in denen man großen Wert darauf legt, sich ökologisch zu ernähren, sich nachhaltig fortzubewegen und emanzipatorisch zu leben. Wählen geht man aber nicht mehr und wenn doch, dann nur um das Schlimmste zu verhindern.

Wer kann das nicht nachfühlen, wenn seit 2005 große Koalitionen oder bürgerlich-konservative Regierungen auf Bundesebene regieren, den Status Quo verwalten oder eben das schlimmste verhindern. Hoffnungen auf eine linke, progressive Wende und eine Fortschreibung der Erfolgsgeschichte von der 68er-Generation bis hin zur ersten rot-grünen Bundesregierung, werden seit nun mindestens mittlerweile 15 Jahren aufgeschoben. Ehrlicherweise muss aber auch erwähnen, dass bereits unter Rot- Grün, spätestens mit der Entwicklung und Umsetzung der Agenda 2010, ebendiese Hoffnungen einen Dämpfer erfahren haben. Der SPD ist klar, dass sie diese Hoffnungen in einer (fast alternativlosen) erneuten Großen-Koalition mit der Union nicht erfüllen kann. Doch nun stellt sich langsam eine noch größere Gefahr ein: Die unerfüllten Hoffnungen könnten einer Hoffnungslosigkeit weichen. Die institutionelle Politik wird sich in einer Großen Koalition nicht bewegen, es manifestiert sich ein institutionelles Richtungsvakuum.

Also auf ins Private? Leben wir so, wie wir es uns für unsere Gesellschaft wünschen und lassen die Politik Politik sein? So verständlich diese Einstellung ist, so fatal ist sie. Denn in Deutschland tobt im Schatten eines politischen Richtungsvakuums ein Kulturkampf. Die  Neue Rechte kämpft um gesellschaftliche Hegemonie und kopiert dabei die Aktionsformate der 68er, wie es die „identitäre Bewegung“ und die AfD vormachen. Diese Bewegung will zurück: Zurück zum Nationalstaat, zumindest zurück in die konservativen 60er Jahre, entschlossen in die Vergangenheit. Und auch wenn sie noch nicht die Deutungshoheit erreicht hat, so hat sie es zumindest geschafft, den Diskurs im öffentlichen Raum deutlich zu verschieben. Private Gespräche in den urbanen Zentren kümmern sie dabei wenig. Die politische Rechte hat erkannt, dass das Richtungsvakuum eine Chance ist, die Gesellschaft in eine Richtung zu verschieben. Die progressive Linke nicht. Sie beschäftigt sich mit sich selbst. Auf der linken Seite der Gesellschaft wird die schweigende Gruppe immer größer. Doch Schweigen ist unpolitisch.

Eine unpolitische Gesellschaft nützt immer denjenigen, die ökonomisch abgesichert sind. Das mag bei ehemaligen Wortführer*innen der gesellschaftlichen Linken der Fall sein. Der Kampf für gute Arbeits- und Lebensbedienungen und faire Löhne für Alle ist aber bei weitem nicht vollendet. Der nahezu emissionsfreie Lebensstil verhindert nicht allein den globalen Klimawandel und ein nachhaltiges konsumieren überwindet nicht allein ein auf Ausbeutung basiertes Wirtschaftssystems. Neben dem Wandel des individuellen Verhaltens braucht es auch immer politische Kraftanstrengungen. 

Der Rückzug in das Private verschließt die Augen vor Problemen der anderen und das macht ihn egoistisch. Biedermeiern muss man sich erst einmal leisten können.

Was tun? Im Parlament und durch die neue Große Koalition wird das Richtungsvakuum nicht gefüllt. Auch nicht durch subsumieren progressiv geführter Privatleben entscheidet sich, in welche politische Richtung unsere Gesellschaft steuert. Wie es in Deutschland weitergeht, entscheidet der politische Diskurs, geprägt im öffentlichen Raum und nicht im Wohnzimmer. Die Zukunft liegt auf der Straße. Die Vergangenheit aber eben auch.

Für die linken Oppositionsparteien bedeutet das eine Änderung ihrer Arbeitsweise:  Entschließungsanträge, kleine Anfragen und Fragestunden sind notwendig, doch sie haben nur eine verhindernde oder korrigierende Wirkung. Das gilt auch für die GRÜNEN. Die staatstragende Haltung bei den Jamaika-Verhandlungen hat Sympathien beschert, aber sie wird die GRÜNEN nicht dauerhaft tragen. Politische Parteien müssen Alternativen bieten und als solche sichtbar sein. Ein Korrektiv einer Regierung ist noch keine Alternative. Die Zukunft von linken Parteien liegt dort, wo die Bewegungen sind. Für die GRÜNEN führt das zu einer skurrilen Situation: Die Grünen mussten lernen, wie man von einer Bewegung zu einer Partei wird und wie ein Parlament funktioniert. 40 Jahre nach dem Einzug in den Bundestag müssen wir die Bewegungs- und Mobilisierungspotenziale als Partei neu entdecken.

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