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Grüne Rentenpolitik vor Richtungsentscheidungen: Drei Thesen

Bei der nahenden Bundesdelegiertenkonferenz in Münster stehen Richtungsentscheidungen an, auch in der Rentenpolitik. Drei Thesen möchte ich zur Diskussion stellen.

 

These 1: Wir brauchen die Grüne Garantierente – Sie allein greift allerdings zu kurz

Dreh- und Angelpunkt Grüner Rentenpolitik ist die Stärkung der gesetzlichen Rente. Sie hat den mit Abstand größten Anteil an der Alterssicherung, bietet ein im Vergleich zu anderen Vorsorgeformen unerreichtes Leistungsspektrum und genießt zurecht grundsätzlich großes Vertrauen unter den Beschäftigten sowie den Rentnerinnen und Rentnern. Die Leistungsseite der Rentenversicherung, die in den letzten Jahren durch den Vorrang des Finanzierungsgedankens fast gänzlich in den Hintergrund getreten war, steht wieder im Fokus.

Wie ist die erste Säule der Alterssicherung weiterzuentwickeln? Klar ist: Die Rentenversicherung ist eine Einkommensversicherung. Sie soll nach dem Ausstieg aus dem Berufsleben entscheidend dazu beitragen, das Erwerbseinkommen zu ersetzen. In erster Linie dient sie damit nicht dem Schutz vor Altersarmut, sondern dem Erhalt eines „Lebensstandards“ im Alter, der wenigstens oberhalb der Armutsgrenze liegt.

Und genau hier sehen insbesondere die potentiellen Grünen Wählerinnen und Wähler Handlungsbedarf. Der Gedanke an eine nicht ausreichende Altersvorsorge ist im sogenannten Erweiterten Grünen Potential laut der Mapping-Studie der Partei die größte persönliche Sorge. Wer genauer in die Zahlen blickt, wird feststellen, dass die Angst vor dem sozialen Abstieg eine Schlüsselrolle spielt. In dieser repräsentativen Umfrage, die zwar gezielt auf das Grüne WählerInnenpotential abzielt, spiegeln sich auch die Sorgen der Mittelschicht jenseits des Grünen Milieus.

Das rentenpolitische Ziel der Armutsvermeidung spielt für uns Grüne traditionell zurecht eine gewichtige Rolle. Hier sind wir mit der Garantierente, die jedem Menschen mit zumindest 30 Versicherungsjahren eine Rente von rund 900 Euro garantiert, seit vielen Jahren hervorragend aufgestellt. Zuletzt haben wir sie im Rahmen der Rentenkommission der Grünen Partei weiterentwickelt und dabei ausgeweitet. Das ist gut und richtig.

Die Garantierente allein wird aber nicht reichen. Von einem entwickelten Alterssicherungssystem in einem volkswirtschaftlich starken Land sollten auch durchschnittlich verdienende Versicherte darauf vertrauen können, nach dem Ausstieg aus dem Berufsleben ihren bisherigen materiellen Standard weitgehend beizubehalten. Es wäre ein strategischer Fehler, in der Alterssicherung lediglich oder in erster Linie auf die Garantierente zu setzen, für die Mittelschicht aber keine Lösungen anzubieten, die über das Versprechen, im Alter nicht auf Grundsicherung angewiesen zu sein, hinaus gehen. Es bedarf eines Zweiklangs aus Lebensstandardsicherung und Armutsvermeidung. Die Grüne Bundestagsfraktion und auch die Rentenkommission der Partei haben sich in diesem Sinne klar positioniert:

„Denn nur wem trotz langjähriger Beitragszahlung im Rentenalter keine Sozialhilfe droht oder wem die Möglichkeit eröffnet wird, den Lebensstandard jenseits der Armutsgrenze zu sichern, wird der gesetzlichen Sozialversicherung langfristig Vertrauen schenken.“ (1)

Dazu sind allerdings erhebliche Anstrengungen notwendig:

 

These 2: Die Stabilisierung des Rentenniveaus ist der entscheidende Schritt

Seit der Jahrtausendwende ist das gesetzliche Rentenniveau von rund 53 Prozent auf heute knapp 48 Prozent abgesunken. Ohne Gegenmaßnahmen wird sich die Abwärtsfahrt fortsetzen, nach 2030 auf Werte deutlich unterhalb von 43 Prozent. Schon Mitte bis Ende der 2020er Jahre werden 30 Beitragsjahre damit nicht mehr ausreichen, um eine Rente oberhalb des Grundsicherungsniveaus zu gewährleisten. Eine derartige Entwicklung, die sowohl die Gefahr der Altersarmut erhöht als auch die Lebensstandardsicherung im Alter erschwert und damit ganz erheblich die Legitimität der Rentenversicherung gefährdet, dürfen wir nicht hinnehmen.

Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der nicht erfüllten Hoffnungen um die Riester-Rente. Die Riester-Reform hat lediglich eines ihrer Ziele erreicht, nämlich die Stabilisierung des Rentenbeitragssatzes. Die Folge: Das Absinken des Rentenniveaus, das durch die geförderte private Altersvorsorge kompensiert, ja gar überkompensiert werden sollte. Diese wird den ursprünglichen Erwartungen heute jedoch eindeutig nicht gerecht, zu gering sind die Renditen, zu hoch die Kosten, zu intransparent die Produkte. Nur rund sieben Millionen Menschen nehmen die Riester-Förderung in vollem Umfang in Anspruch – bei mehr als 30 Millionen Anspruchsberechtigen. Was der ersten Säule der Alterssicherung also an Tragkraft verloren ging, konnte die ergänzende Vorsorge bisher nicht auffangen. Entsprechend groß ist der Handlungsbedarf.

Der Bundesvorstand hat sich in seinem die BDK vorbereitenden Leitantrag „Wir investieren in Gerechtigkeit“2 richtigerweise für eine Stabilisierung auf heutigem Niveau ausgesprochen. Im Sinne der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit plädiere ich für ein differenziertes Tableau an Finanzierungsinstrumenten, so etwa die Steuerfinanzierung der Mütterrente oder die Einbeziehung von neuen Gruppen in die Rentenversicherung. Auch eine Anhebung der Beitragssätze kommt in Betracht. Sie sollten zwar das letzte Mittel, keinesfalls aber ein Tabu sein. Erklären wir die Beitragssatzerhöhung quasi für sakrosankt, wie es nun in einem Antrag der Bundesarbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Finanzen zur BDK anklingt, bedeutete dies, die Niveaustabilisierung im Zweifel ad acta legen zu müssen.

Und übrigens: Ein stabilisiertes Rentenniveau wird die Chance, eine Bürgerversicherung auch in der Rente einzuführen, ohne Frage erhöhen. Die verschiedenen Gruppen, die heute noch nicht rentenversichert sind, sind von dem Butzen einer Bürgerversicherung eher zu überzeugen, wenn die Perspektive mehr als nur eine Garantierente von rund 900 Euro brutto beinhaltet. Die Zeit drängt. Spätestens in der kommenden Legislatur sind der Einstieg in die Bürgerversicherung und zügige Fortschritte erforderlich. In einem ersten Schritt sollen die nicht anderweitig abgesicherten Selbständigen einbezogen werden.

 

These 3: Eine Revitalisierung des Drei-Säulen-Systems ist weiter notwendig

Das Ende der Förderung der privaten Altersvorsorge ist einer der strittigen rentenpolitischen Punkte, die die BDK entscheiden wird. Ich teile die Kritik an der Riester-Rente ausdrücklich und ich nehme für mich in Anspruch, zur Debatte in Partei und Bundestagsfraktion in aufklärerischer Weise beigetragen zu haben. Und dennoch setze ich weiter grundsätzlich auf ein neu aufgestelltes Drei-Säulen-Modell.

Warum? Das Ziel der Lebensstandardsicherung kann letztlich nur dann erreicht werden, wenn die Rentenniveaustabilisierung durch eine Vitalisierung der zweiten und der dritten Säule flankiert wird. Würde nämlich die geförderte private Vorsorge als konstitutiver Teil des Alterssicherungssystem aufgegeben und die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung nicht entscheidend verbessert, wäre die Rückkehr zu einem Rentenniveau von mindestens 53 Prozent aus systematisch-logischen Gründen folgerichtig. Schließlich bestand und besteht ein unmittelbarer legitimatorischer Zusammenhang zwischen der Einführung der Riester-Rente und dem Absenken des Niveaus. Die Uhr lässt sich nicht zurückdrehen, der Pfad in das Jahr 2000 nicht zurückwandern.

Die drei Säulen der Alterssicherung werden auch in Zukunft ungleiche Lasten tragen müssen. Die gesetzliche Rente wird die mit Abstand bedeutendste Säule bleiben und wieder deutlich an Tragkraft gewinnen müssen. Bei der zusätzlichen Altersvorsorge plädiere ich für eine Priorisierung. Die betriebliche Altersversorgung genießt bei ArbeitnehmerInnen ein hohes Ansehen, weist regelmäßig ein großes Leistungsspektrum sowie den Vorteil auf, dass ArbeitgeberInnen die Möglichkeit zur Beteiligung an der Finanzierung gegeben ist. Wir sollten gerade sie aus diesen Gründen stärken. Die Riester-Rente ist in ihrer bisherigen Form gescheitert. Wir brauchen daher einen grundlegenden Neustart. Da es der Versicherungswirtschaft nicht gelungen ist, ein in der Breite akzeptables Produktangebot vorzulegen, setzt sich unter anderem die Bundestagsfraktion für ein öffentlich verwaltetes Basisprodukt ein. Die staatliche Förderung wollen wir künftig auf Menschen mit geringem Einkommen konzentrieren.

Ich freue mich auf die Diskussion mich Euch, hier im Blog und nicht zuletzt in Münster.

 

(1) Abschlussbericht der Grünen Rentenkommission, https://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/GRUENE_Abschlussbericht_Rentenkommission.pdf, Seite 2.

(2) https://bdk.antragsgruen.de/40/Wir_investieren_in_Gerechtigkeit-38726

Autor: Markus Kurth

Markus Kurth, MdB ist Sprecher für Rentenpolitik der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Obmann im im Ausschuss Arbeit & Soziales des Deutschen Bundestages

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