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Auflösung des Verfassungsschutzes, neu denken, aber nicht neu gründen

In der deutschen Sicherheitsarchitektur kann und darf nach dem Aufdecken der beispiellosen NSU Mord- und Anschlagsserie kein Stein auf dem anderen bleiben. Es wird immer deutlicher: Das Versagen liegt nicht ausschließlich in einer falschen Führung von Ämtern oder an der fehlenden Zusammenarbeit der unterschiedlichen Behörden, Organe und Ebenen. Das Grundproblem liegt vielmehr in der Logik der Geheimdienste, die sich effektiv einer demokratischen Kontrolle entziehen, eigene Fehler vertuschen und mit einem unüberschaubaren Netz aus bezahlten Nazis, den V-Personen, Teil des Problems und nicht der Lösung geworden sind.

Diese Ämter sind nicht mehr zu reformieren. Ein Geheimdienst, egal wie er heißt, wird immer ein Fremdkörper in einer Demokratie sein. Wie wehrhaft unsere Demokratie ist, bemisst sich nicht an der Ausstattung und den Möglichkeiten ihres (geheimen) Sicherheitsapparates, sondern vor allem an der Stärke ihrer Zivilgesellschaft und der rechtsstaatlichen Institutionen. Zur Bekämpfung von Straftaten, von politisch motivierter Gewalt und von Terror braucht es vor allem Ermittlungsbehörden, die in der Lage sind, vorhandene Zeichen richtig zu deuten und grundrechtssensibel zu ermitteln. Ein Staat im Staat, der – aufgrund seines Zwangs zur absoluten Geheimhaltung – niemals vollständig zu kontrollieren ist, kann dies nicht leisten.

Auflösung ja, aber bitte nicht neu gründen
 

Bei der Frage der Auflösung des Verfassungsschutzes herrscht bei uns zum Glück weitestgehend Einigkeit. Die Frage die noch offen ist, ist was danach kommt. Zur Debatte steht das Konzept der Bundestagsfraktion, die eine Neugründung des Inlandsgeheimdienstes als Abteilung „Inlandsaufklärung“ des BMI vorschlägt. Bei diesem Vorschlag fehlt anscheinend der Mut den letzten konsequenten Schritt zu gehen. Was sich nicht bewährt hat, was die Demokratie eher gefährdet als sichert, was sich nicht demokratisch kontrollieren lässt, gehört weg. Der Kampf gegen Terrorismus und politisch motivierten Straftaten, auch gegen deren konkrete Vorbereitung, ist bei der Polizei besser aufgehoben.

Die weiteren Aufgaben des Verfassungsschutzes können auch auf andere Behörden übertragen werden, bzw. ganz aus der Sicherheitsarchitektur ausgegliedert werden. Ein staatlich finanziertes Institut, mit starker Anbindung an die zivilgesellschaftlichen Initiativen, dass offen zugängliche Quellen wissenschaftlich auswertet um Demokratiefeindlichkeit zu erforschen und Handlungsempfehlungen ausspricht, ist im Kampf gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und politische Wirrköpfe hilfreicher als jeder Geheimdienst. Die sogenannten Verfassungsschutzberichte leisten an dieser Stelle jedenfalls nichts und werden vor allem zur Denunziation von politisch unliebsamen Organisationen genutzt. Eine wissenschaftliche Grundlage, geschweige denn einheitliche Kriterien der unterschiedlichen Landesämter, sucht man in den bisherigen Berichten vergebens.

Unsäglich V-Personen Praxis einstellen.
 

Der Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln, egal ob von Polizei oder Geheimdiensten, gehört umfassend auf den Prüfstand. Wir brauchen deutlich mehr Kontrolle in den Parlamenten und außerhalb. Eine Lehre lässt sich aber bereits jetzt aus dem Desaster ziehen. Der Einsatz von V-Personen hat sich nicht bewährt. Auch strengere Vorgaben bei der Anwerbung und Führung können nicht verhindern, dass man durch den Einsatz von V-Personen, AnhängerInnen der zu beobachtenden Szene für ihre Agitation und Arbeit in der Szene alimentiert. In der Abwägung zwischen dem zweifelhaften Nutzen ihrer Informationen und dem Schaden den sie anrichten, bleibt für mich nur der Schluss, dass diese unsägliche Praxis einzustellen ist. Auch hier zeichnet sich ein innerparteilicher Dissens ab. Dabei müssen wir nicht nur auf die Geheimdienste schauen. Auch die Polizei setzt V-Personen ein. Durch fehlende parlamentarische Kontrollmöglichkeiten ist es hier noch schwieriger überhaupt an Informationen zu dem Umfang und Ziel des Einsatzes zu kommen. Wenn es konkrete Hinweise auf die Vorbereitung und Planung von schweren Straftaten bzw. terroristischen Anschlägen gibt, erscheint der Einsatz verdeckter Ermittler sinnvoller als der Einsatz von V-Personen.

Grundsätzlich gilt, egal wie wir uns als Partei zum Thema Verfassungsschutz positionieren, eine stärkere Kontrolle durch Parlamente und Öffentlichkeit ist die Voraussetzung für einen grundrechtskonformen Umgang der Behörden mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Parlamentarische Kontrollgremien sollten grundsätzlich öffentlich tagen, nur auf Antrag darf es einen nicht öffentlichen Teil der Sitzung geben. ParlamentarierInnen müssen die Möglichkeit bekommen, auch unangemeldet Akten zu sichten und so die Einsätze zu kontrollieren. Das sind nur einige der sich in der Diskussion befindenden Vorschläge für eine bessere Kontrolle, vieles ist hier denkbar. Ziel muss es sein, um es mit den Worten des Kollegen Hans-Christian Ströbele zu sagen, dem Geheimdienst das Geheime zu nehmen.

Polizei und Justiz nicht aus dem Blick verlieren
 

Die Debatte darf sich aber nicht nur um die Geheimdienste drehen. Es waren nicht zuletzt die Polizei und auch die Justiz, die die Verantwortung für die Ermittlungen bei den Morden und den Bombenanschlägen hatte. Falsche Vorannahmen, rassistische Stereotype, Blindheit auf dem rechten Auge und reflexartige Verdächtigungen, aus welchem Umfeld die TäterInnen stammen, haben mindestens genauso, wie ein völlig falsch ausgerichteter Geheimdienst zu dem Versagen der deutschen Sicherheitsarchitektur beigetragen. Auch hier müssen Konsequenzen gezogen werden, auch hier braucht es Maßnahmen, um den institutionellen Rassismus zurück zu drängen und allen Menschen, die in Deutschland leben, wieder das Gefühl zu geben, hier willkommen und sicher zu sein. Eine erste richtige Maßnahme wäre, bei Gewalttaten gegen MigrantInnen oder Menschen mit Migrationshintergrund zwangsweise immer auch ein rassistisches Tatmotiv anzunehmen und in diese Richtung zu ermitteln. Darüber hinaus braucht es eine größere Diversität in den Sicherheitsbehörden und Fortbildungen, die PolizistInnen, StaatsanwältInnen und RichterInnen mehr Sensibilität vermitteln. Anders werden wir einem institutionellen Rassismus nicht dauerhaft begegnen können.

 

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