Grün.Links.Denken

Agnieszka Brugger: Grün links heute

Früher geisterte gern eine These durch die Medien: Die Grünen seien ein Ein-Generationenprojekt der 68er. Wir Grüne haben uns nicht überlebt. Und wenn ich bei diesem Kongress in den Saal schaue, muss ich auch sagen: Die Grüne Linke hat sich nicht überlebt. Wir sind da und vielleicht erfolgreicher denn je. Zufrieden ist man als Linke aber trotzdem nicht, der kritische Blick – auch auf einen selbst – wird nicht abgelegt. Und das ist gut so.

Vor allem die Zeit in der Grünen Jugend hat für mich geprägt, wie ich Politik sehe und mache. In, mit und außerhalb der Grünen Jugend haben wir für unsere Ideale und Ideen gekämpft. Wir haben uns nicht selten dabei blutige Nasen geholt oder Abstimmungen verloren. Zu radikal. Wir sind darüber weder verbittert geworden, noch haben wir aufgegeben. Und mit der Zeit kam einiges von dem, wofür wir gekämpft haben, auch bei der grünen Mutterpartei an. Nicht immer sofort, nicht immer zu 100%, nicht immer zu unserer Zufriedenheit. Auch weil wir von anderen Unterstützung erfahren haben.
Als junge WeltverbessererInnen – so sehe ich uns junge linke Grüne. Momente, die uns geprägt haben, waren häufig vor allem der politische Protest, die Aktion auf der Straße: Ob Anti-Atom, Gegen Nazis, der Protest gegen den Heiligendamm-Gipfel…Wir wollten nie nur reden, sondern immer raus auf die Straße. Die sozialen und ökologischen Bewegungen waren uns meistens näher als Jugendorganisationen anderer Parteien.

Unsere Generation kennt keine dominante Ideologie, aber wir sind immer noch voller Ideale. Es geht nicht um die große Revolution, aber noch weniger um Reförmchen. Worum es geht, dass ist ein Riesen-Projekt: die sozial-ökologische Transformation unserer Gesellschaft und die freie Teilhabe des einzelnen Menschen daran. Wir wollen weder ein Nischenprojekt sein, noch es uns in einer Mitte bequem machen und damit den Anspruch aufgeben Politik und Gesellschaft zu gestalten.

Ich glaube weiterhin fest daran, dass es möglich ist, die Welt zum Besseren zu verändern. Aber der Weg ist weder vorgezeichnet, noch steht der Ausgang der politischen Kontroversen unserer Zeit schon fest. Es gibt so paar Hindernisse, so paar Entwicklungen, die mir Sorgen machen.
Wenn mich heute Menschen fragen, warum ich bei den Grünen bin, nenne ich drei grundlegende Ansprüche an grüne Politik:

  1. Das Fundament. Die grünen Grundwerte und Ziele, die für mich grüne Politik ausmachen: Solidarität, Soziale und Globale Gerechtigkeit, Ökologie, Frieden, Geschlechtergerechtigkeit, Freiheit, Teilhabe.
  2. Die Form. Dass die Grünen eine Partei sind, in der man als einzelne oder als einzelner oder als Gruppe etwas bewegen kann. In der Politik von unten nach oben funktioniert. Basisdemokratie.
  3. Der Prozess. Die Verbindung von Visionen und Pragmatismus. Wir wissen, wie wir uns die Welt in 10 bis 20 Jahren vorstellen. Wir haben den Anspruch, Gesellschaft zu gestalten und zu verändern. Die schönsten Visionen bleiben aber nur schöne Gedanken, wenn man sich nicht mit der Frage beschäftigt, welche Schritte man heute dafür tun muss und kann, um sie zu erreichen.

Aber: nobody is perfect. Wir sind es alle nicht. Nicht immer ist es Grün gelungen, diesen Ansprüchen gerecht zu werden. Einen besonders kritischen, selbstkritischen, auch überkritischen Blick, ob diese Ansprüche nur noch leere Floskeln sind, die wir vor uns hertragen, hat die grüne Linke immer geübt. Das macht einen nicht besonders beliebt. Aber das ist auch unheimlich wichtig, denn wir sagen und sehen doch alle: Die Glaubwürdigkeit ist unser höchstes Gut. Wenn wir hier zu unterschiedlichen Einschätzungen innerhalb der Linken kommen, dann ist nicht das „Übereinander reden“ der richtige Weg, sondern eine faire, streitbare, offene und kritische Diskussion, aus der dann neue Antworten erst entstehen können.

Was mich zweitens gerade innerhalb der Gesamtgrünen besorgt, ist unsere Scheu vor inhaltlichen Kontroversen, die sich in den letzten Jahren ausgebreitet hat. Die Zeit, wo Grüne sich über inhaltliche Debatten zerlegt haben, kommt einem heute ungeheuer weit weg vor. Und sicher darf und kann auch nicht alles nur per Mehrheit abgestimmt werden, weil auf diese Weise relevante Teile der Partei mit ihren Ansichten und Meinungen dauerhaft ausgegrenzt würden. Geschlossenheit in der Partei macht Sinn, aber auf keinen Fall um jeden Preis. Wir haben so ein ums andere Mal Kontroversen unter den Teppich gekehrt, statt sie auszufechten in einem fairen Kampf um die besseren Ideen und Argumente. Das ist nicht nur schlecht für die Klarheit der grünen Programmatik, sondern es trägt dazu bei, dass wir – mit dem Mief der vermeintlichen Volksparteien belegt –zu den etablierten Parteien zählen. Weder der permanente Streit noch Geschlossenheit um jeden Preis sind das Wahre. Grüne lebendige und faire Debattenkultur, das ist für mich ein Wert an sich.

In letzter Zeit beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Es sind gar nicht so sehr unsere Inhalte, die mir Sorgen machen. Die finde ich sogar in vielen Punkten besser als noch vor ein paar Jahren. Es ist mehr ein Selbstverständnis, das sich breitmacht in den Fraktionen und auch in der Partei. Dieses Staatstragende. Es wird gesagt: In den vielen Krisen muss man doch Verantwortung tragen. Ich plädiere nicht für Verantwortungslosigkeit. Aber dem liegt das Verständnis zugrunde, dass wir auch in der Opposition so eine Art bessere Schattenregierung sein wollen und sein müssen. Dabei geht dann ein ums andere Mal die grüne Botschaft unter, klare Kante wäre notwendig. Und auch wenn der Anspruch, die Gesellschaft zu verändern, uns immer noch beseelt, er wird auf diese Weise nach außen nicht mehr wahrnehmbar, nicht mehr spürbar für die Menschen. Wir leben im permanenten Krisenmodus: von der Armuts- und Gerechtigkeitskrise, über die Klimakrise, über die Demokratiekrise, über die Europa-Krise bis hin zur Finanz- und Wirtschaftskrise. Hier wollen wir mit unseren Antworten ansetzen und Alternativen schaffen. Und es stellt sich doch jetzt die Frage: Ob, wenn man heute nicht zu leise und zu differenziert ist, die Chance für die Transformation der Gesellschaft leise verstreicht… Und ob man damit nicht unabsichtlich die Tür aufgehalten hat, für die Rückkehr der Konzepte und Ideen, die uns in diese Krisen geführt haben? Dann hätte die grüne Linke ihren Moment eindeutig verpasst…

Kurze Anmerkung: Dies ist die stark gekürzte Version meines Inputs in der Debatte zur Frage „Grün-Links-Heute“ beim grün-linken Kongress in Berlin am 9.und 10. Juni. Viele Aussagen sind dabei sehr subjektiv, insbesondere, wenn sie sich auf mein Lebensgefühl als junge, grüne Linke beziehen. Ich erhebe dabei weder den Anspruch, für alle grünen jungen Linken zu sprechen, noch darf man mich so verstehen, dass dies für andere Einzelperson oder Gruppen in der Grünen Linken oder in der Partei generell nicht zutrifft. Es ist einfach ein subjektiver Blick auf mich und das grün-linke Drumherum.

Agnieszka Brugger ist 27 Jahre alt, Mitglied des Bundestages und Sprecherin für Abrüstungspolitik in der Grünen Bundestagsfraktion. Ihr Wahlkreis ist Ravensburg und sie war Sprecherin der Grünen Jugend Baden-Württemberg.

Ein Kommentar

  1. Liebe Agnieszka,
    Du beklagst unsere oftmals (zu) staatstragende Haltung in der Opposition und erwartest mehr „klare Kante“. Für mich ist „klare Kante“ aber keine Frage der Opposition, sondern betrifft unser Handeln allgemein. Denn was unserer Glaubwürdigkeit mehr als alles andere schaden würde wäre, wenn wir in der Opposition eine Haltung in aktuellen Debatten einnehmen würden, die wir in einer Regierung niemals aufrechterhalten könnten. Damit meine ich nicht, dass wir in der Opposition nicht die „reine grüne Lehre“ vertreten sollten. Aber wenn wir (mit)regieren wollen, müssen wir uns grundsätzlich eine gewisse Kompromissfähigkeit erhalten. Ich glaube, dass insbesondere wir Grünlinke abgrenzen müssen, zwischen unangebrachtem staatstragenden Verhalten und der Absicht, aus der Opposition heraus, Regierungshandeln beeinflussen zu wollen.
    Liebe Grüße aus den Koalitionsverhandlungen in NRW 😉