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Steinbrück International

„Welt im Wandel –Leitlinien sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik“ – so heißt die programmatische Rede, die Peer Steinbrück als Kanzlerkandidat an der FU Berlin am 4. Juni gehalten hat. An ihr kann man gut ablesen, was der Führung der SPD in diesen Politikfeldern wirklich wichtig ist und welche Akzente ein Kanzler Steinbrück setzen würde. Natürlich können in einer Rede nicht alle Fragen erschöpfend behandelt werden und doch sind wichtige Leerstellen und Auslassungen politisch aussagefähig.

Europa

Im Zentrum der Ausführungen stehen Europa und die Europapolitik. Mehrfach wird überzeugend erklärt, das deutsche Außen- und Sicherheitspolitik in erster Line im europäischen Rahmen stattfinden muss.  Die Bedeutung der Finanz- und Bankenkrise für die aktuelle Lage der EU wird zutreffend hervorgehoben: „Die Politik ist der Erpressung durch große, für systemrelevant gehaltene Finanzinstitute ausgesetzt…“(S.2)

Richtig wird herausgearbeitet, dass die Wirtschafts- und Finanzkrise in eine Legitimationskrise der EU zu eskalieren droht. Dass die Regierung Merkel darauf keine Antwort hat, Europa stark auf Ökonomie reduziert und die Lage falsch analysiert wird ebenso klar. Daraus wird die Forderung nach einem neuen Narrativ für Europa abgeleitet, alles nahe auch am grünen Diskurs. Positiv ist auch, dass die (grüne) Forderung nach einem neuen Konvent zur Zukunft der EU aufgenommen wird.

Doch die eigenen Antworten Steinbrücks bleiben nicht nur blass, sondern haben eine signifikante Leerstelle, wenn er äußert, was für ihn zu den Konturen des europäischen Gesellschaftsmodells gehört. Der Bereich der Ökologie, die Umwelt- oder die Klimapolitik kommen bei ihm eigenständig nicht vor.

Ihm geht es um „das Narrativ des europäischen Zivilisationsmodells von Frieden, Wohlstand, Rechtsstaatlichkeit Menschenrechten, kultureller Vielfalt, einschließlich einer sozialen Dimension.“ (S.3) Die überragende Bedeutung der Umweltpolitik im gemeinsamen Europa hat er nicht auf dem Schirm. Ironisch könnte wohl gesagt werden, dass hier ein ganzes Politikfeld zur Übernahme durch die Grünen freiwillig geräumt wird.

Globale Diplomatie

Auffällig ist auch, dass zwar die Veränderung der internationalen Kräfteverhältnisse durch den Aufstieg der „Schwellenländer“ angesprochen und die G 20 kurz erwähnt werden, jeder Angriff auf die diffuse Politik  des Außenministers Westerwelle aber ebenso unterbleibt, wie die Darlegung eigener konzeptioneller Überlegungen. Kein kritisches Wort zum wirren Regierungspapier über die Bedeutung der „neuen Gestaltungsmächte in der Globalisierung“, kein Wort zu notwendigen Strukturreformen der UNO. Hier wird eine Leerstelle der aktuellen Regierungspolitik einfach nur gespiegelt.

Russland

Bemerkenswert sind der Stellenwert und die Inhalte der Russlandpolitik in dieser Rede. Hier liegen besonders wichtige Differenzen zur grünen Außenpolitik. Angestrengt wird versucht, die Ostpolitik von Brandt und Bahr bruchlos auf die heutige Situation fortzuschreiben. Steinbrück glaubt, das der Grundsatz „Wandel durch Annäherung“, der im Kalten Krieg seine Berechtigung hatte, im Grunde auch heute die Leitlinie gegenüber Putin sein muss. Zwar erklärt er, dass Oppositionspolitiker, Journalisten und NRO „sogar bedroht werden, ist absolut inakzeptabel“(S.6).  Tiefergehende politische Konsequenzen gegen das Konzept einer besonderen strategischen Partnerschaft mit Russland will er aber daraus nicht ziehen.

Zivile Konfliktprävention

Gerade weil in der Rede die Traditionslinien sozialdemokratischer Außenpolitik einerseits so stark bemüht werden, fällt dann andrerseits eine Leerstelle besonders auf. Die Bedeutung von Konfliktprävention und ziviler Konfliktbearbeitung für die deutsche Politik spielt keinerlei Rolle, die Stärkung dieses Bereichs wird als Ziel der Veränderung nicht einmal erwähnt. Das ist besonders unverständlich, da gerade die Bedeutung dieses Bereiches von den Außenpolitikern der beiden Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen besonders hervorgehoben wird (siehe z.B. das Positionspapier von Kerstin Müller und Edelgard Bulmahn hierzu).

Entwicklungspolitik

Bedauerlich ist auch, dass zur Frage der Einhaltung der deutschen Verpflichtungen in der internationalen Entwicklungs- und Klimapolitik nur ein einziger, vager Satz fällt. Deutschland sei herausgefordert „seinen Beitrag zur Entwicklungshilfe, die sogenannte ODA-Quote weiter zu steigern“. (S.12) Das bleibt weit hinter der gemeinsame Erklärung zum Erreichen des 0,7 Prozent-Zieles zurück, die die Mehrheit der aktuellen MdB aller Fraktionen unterzeichnet hat. Das ist defacto eine Absage an dieses Ziel.

Rüstungsexporte

Länger fallen die Passagen zu den Rüstungsexporten aus. Hier wird zwar deutliche Kritik an der Genehmigungspraxis der Regierung Merkel geübt und nebenbei der Anschaffung von bewaffneten Drohnen für die Bundeswehr eine klare Absage erteilt. Aber es fehlt jede selbstkritische Analyse und Reflexion über die Schwachpunkte in der eigenen rot-grünen Regierungspolitik bis 2005 oder gar der Großen Koalition danach.

Stattdessen fällt ein Satz, über den sich Kabarettisten sicher freuen können: „Eine Bundesregierung unter meiner Führung wird zurückkehren zu der sehr restriktiven Rüstungsexportpolitik in der Zeit von Gerhard Schröder“.(S.12)

Wenn es noch eines Argumentes für die Notwendigkeit unserer grünen Forderung nach einem Rüstungsexportkontroll-Gesetz bedurfte, nun, hier ist es.

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