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Die Grüne Gretchenfrage: Wie hältst du's mit dem Wachstum?

Vor 40 Jahren postulierte der Club of Rome erstmals "Die Grenzen des Wachstums“. Ein Jahrzehnt später begann der GRÜNE Einzug in die Parlamente. Und heute – wie viel kritischen Umgang mit dem Thema Wachstum konnten wir uns bewahren?

Ein Blick in den Wirtschaftsteil unseres Wahlprogrammentwurfs zeigt: erstaunlich wenig. „Was wachsen muss“ heißt eine Überschrift im Wirtschaftsteil und der zugehörige Abschnitt wirkt, als wäre die wachstumskritische Debatte der letzten Jahrzehnte fast spurlos an ihm vorbei gezogen. Dabei stellt uns GRÜNE die Frage nach dem Wachstum vor mindestens zwei ernstzunehmende Probleme, für die wir bisher keine Lösung wissen: Wie gehen wir mit der Abhängigkeit unserer Gesellschaft vom Wirtschaftswachstum um? Und wie verhalten wir uns zu den populären Aufrufen zur „Befreiung vom Überfluss“, sprich: dem Verzicht?

Die bisherige Fassung unseres Programms fällt bereits hinter die Erkenntnisse zurück, die die aktuelle Bundestags-Enquetekommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ begründeten. Der Abschnitt „Was wachsen muss“ suggeriert, dass sich alle ökologischen und sozialen Probleme mit Hilfe des „richtigen“ Wachstums in Luft auflösten. In der wohlmeinenden Begeisterung des Absatzes für erneuerbare Energien und „qualitatives Wachstum“ fällt die Notwendigkeit einer absoluten Reduktion des Energie- und Ressourcenverbrauchs schlicht hinten runter.

Grüne Politik jenseits der Wachstumsabhängigkeit?Hinzu kommt die Krise des Wachstums; unser Programm des umfassenden sozial-ökologischen Umbaus bleibt hier Antworten schuldig. Über die letzten Jahrzehnte hinweg sanken die durchschnittlichen Wachstumszahlen in allen frühindustrialisierten Ländern. Gemessen an der Kaufkraft aus dem Jahr 2008 legte hierzulande das BIP-pro-Kopf in den 1950ern noch jährlich um 600 € zu, während es zuletzt von 2000-2010 nur noch um 150€ pro Jahr zunahm (Meinhard Miegel 2010: Exit). Wir wissen um unsere Abhängigkeit vom Wirtschaftswachstum: ein Blick in den europäischen Süden führt uns die Probleme vor Augen, die Gesellschaften drohen, wenn es ausbleibt. Aber was bedeutet das langfristig für unsere Art zu wirtschaften und zu leben? Dieser Diskussion müssen wir uns stellen.

Jenseits vom Wirtschaftswachstum muss sich Politik neu orientieren. Es ist gut, dass der Programmentwurf diesem Gedanken Rechnung trägt und auf den „Grünen Wohlstandskompass“ setzt. Aber genauso wie an den Zeigern einer Uhr nicht die Zeit zurückgedreht werden kann, ermöglicht uns ein alternatives Wohlstandsmaß nicht, unsere Abhängigkeit vom Wirtschaftswachstum zu reduzieren. Diese Diskussion wird heute von immer mehr NGOs und WissenschaftlerInnen geführt. Und wir wären gut beraten, uns mit Ihnen gemeinsam auf die Suche nach Konzepten für eine Postwachstumsgesellschaft zu machen. Wie sieht ein Arbeitsmarkt aus, der weniger wachstumsabhängig ist? Oder eine Rentenpolitik, die weniger auf wachstumstreibende Renditen angewiesen ist? Dahinter steht auch ein strategisches Argument: Wenn GRÜNE Wirtschaftskompetenz sich darin erschöpft, in Form von „nachhaltigem Wachstum“ die Quadratur des Kreises zu fordern, drohen wir unsere gesellschaftlichen Wurzeln zur progressiv-wachstumskritischen Zivilgesellschaft zu kappen.

Das böse V-Wort

Ein weiteres Problem liegt in unserem Verhältnis zum Maßhalten bzw. der Kunst der Selbstbegrenzung. Der GRÜNE Wandel wird nicht ohne Reduktion in Produktion und Verbrauch auskommen, aber keine Partei wird dafür gewählt, dass sie die Menschen zu Verzicht ermahnt. Wie gehen wir damit um?

 

In einem ersten Schritt müssen wir dem Rebound-Effekt angemessen begegnen. Effizienzverbesserungen, mehr Erneuerbare, umweltschonende Produkte und Dienstleistungen sind nur erfolgreich, wenn ihre Wirkung nicht durch Mehrverbrauch verpufft. Um den Rebound-Effekt einzuschränken, schlägt der Programmentwurf einen „systematischen Ansatz“ (BTW-U-125) vor – erklärt aber nicht, wie dieser aussehen soll. Ehrlicherweise muss erwähnt werden, dass dazu einige Maßnahmen nötig sind: ein Deckel für die Ressourcen- und Umweltsenkennutzung, ökologisch-sozial korrekte Preise und die Streichung von Subventionen, die hohen Umweltverbrauch begünstigen. Ohne diese Maßnahmen zu erwähnen, bleibt der systematische Ansatz eine Luftnummer.

 

Zweitens versteigt sich der Programmentwurf in Symbolpolitik, wenn er in der Suffizienzfrage an der Kompromissformel klebt, „Konsumgewohnheiten und Lebensstile“ müssten überdacht werden. An der Notwendigkeit dazu kann gar keiner zweifeln – an den Konsumsachzwängen des Alltags und den kulturellen Infrastrukturen des Wachstums allerdings auch niemand. Viele Menschen wollen ein ressourcenleichtes Leben führen, aber erleben täglich, wie schwierig der Verzicht aufs eigene Auto oder bestimmte Statusgüter ist. Moralische Appelle schlagen hier fehl: für ein gutes Leben ist nicht allein das Individuum verantwortlich. Es ist die Aufgabe von Politik, nachhaltige Lebensstile zu ermöglichen. Und hier brauchen wir uns nicht verstecken: GRÜN setzt sich für umweltfreundliche Mobilität ein, will Energiesparen belohnen, ökologische Lebensmittel voranbringen und Produkte einfacher reparierbar machen. Diese Maßnahmen machen gutes Leben einfach und fördern langfristig ein kulturelles Umfeld, dass nachhaltige Lebensstile anerkennt und für erstrebenswert hält. Um den/die Einzelne/n bei diesem Wandel zu unterstützen, braucht es eine GRÜNE Politik der Ermöglichung – und so sollte es auch im Wahlprogramm stehen.

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