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Narrative gesellschaftlichen Wandels

Es bewegt sich was. Wer in der deutschen Gegenwart nur selbstzufriedenes „Neo-Biedermeier“ sieht, unterschätzt progressive, öko-soziale Veränderungsbereitschaft. Der Wille zum Wandel ist da: Er ist lokal, pragmatisch und er findet zu neuer Sprache.

Das ist das Ergebnis einer Studie vom Denkwerk Demokratie, zu dessen Vorstand ich gehöreWer es nicht kennt: Das Denkwerk Demokratie ist ein gemeinnütziger Verein, der sich für eine soziale, ökologische und demokratische Zukunftsgestaltung einsetzt. Er bringt Analysen, Ideen und Akteure aus Politik, Gewerkschaften, NGOs und Wissenschaft zusammen. Die tragenden Akteure stammen aus unseren Reihen, aus der SPD und IG Metall und der IG BCE.

Die Studie zu Narrativen gesellschaftlichen Wandels untersucht Diskursräume jenseits der politisch-medialen Elitenarena. Frank Gadinger, Sebastian Jarzebski und Taylan Yildiz sind die Autoren. Sie sind alle Mitglieder der Forschungsgruppe „Politische Narrative“ der Universität Duisburg.

Im „anarchischen“ Diskursraum Internet, in einer Reihe von Regionalzeitungen, in diversen Magazinen und Zeitschriften und im kulturellen Diskursraum der Kunst-, Theater- und Musikszene fanden die Autoren eine Reihe von breit geführten Veränderungserzählungen mit progressiver Stoßrichtung. Im Ergebnis sind sie auf fünf Narrative gestoßen, in denen gefragt wird, „wie wir leben (und arbeiten) wollen“, wie die „Stadt der Zukunft“ aussehen soll, wie eine „Vielfalt selbstbestimmter Lebensformen“ oder „digitale Menschenrechte“ durchgesetzt werden können. Sie arbeiten mit Metaphern wie dem "Ausstieg aus dem Hamsterrad" oder dem "Dorf" als Metapher für neue Gemeinschaften. Es entsteht das Bild einer Gesellschaft, in der immer noch lebhaft um alternative Lebensmöglichkeiten gerungen wird und eine Art praktischer Systemkritik ganz und gar nicht ruhig gestellt ist. Der Wille zur Veränderung ist stark. Die oft vorgebrachten Zeitgeist-Diagnose eines „Stillstandes“, einer Generation von „Egotaktikern“, oder des „Neo-Biedermeier“ in der deutschen Gesellschaft stimmt so nicht.

Bitter für uns ist allerdings, dass es uns nicht gelungen ist, diesen Zeitgeist auch politisch – im engeren Sinne institutioneller parlamentarischer Politik – abzubilden und wirksam zu machen. Die Sprache und Deutungsmuster, die ihn artikulieren könnten, werden immer wieder von anderen Deutungsmustern überlagert und neutralisiert: von Erzählungen der Sicherheit, der nationalen Stärke, des Wettkampfs um Märkte und Standorte. Das liegt sicher auch an der wirtschaftlichen Situation Deutschlands inmitten von kriselnden europäischen Nachbarn und an außenpolitischen Krisen, die verunsichern und schwer einzuordnen sind.

Dennoch stellt sich die Frage: Warum ist es uns nicht gelungen, eine weltanschaulich nahestehende kulturelle Mehrheit in eine politische Mehrheit zu überführen. Eine sozial-ökologische „Veränderungserzählung", die Ausstrahlung entwickelt und den Wandel mit Zuversicht und Verheißung verbindet, fehlt. Haben politische Akteure die progressiven Ansatzpunkte in der deutschen Gesellschaft nicht ausreichend verstanden?

Sicher gehört es zu unseren Aufgaben, über die Kategorien von progressiv und konservativ, links und rechts immer wieder nachzudenken. Diese Unterscheidungen bleiben auch relevant. In unseren Programmen und Politikvorschlägen sollten wir sie überzeugend und anschlussfähig "erzählen". Auch in einer immer komplexer werdenden gesellschaftlichen Wirklichkeit verlieren diese Ordnungsbegriffe nicht ihre Gültigkeit, oft funktionieren sie gut genug. Die von manchen Kommentatoren geforderte Verabschiedung politischer Wertkategorien zugunsten eines angeblich neutralen "Nach Vorne" hingegen ist verschwistert mit einer Politik der „Sachzwänge“, die uns letzten Endes ins postdemokratische Nirgendwo führt.

Dabei ist nicht jeder Ruf nach Wandel und Veränderung gleich „progressiv“ im sozial-ökologischen Sinne. Der neoliberale Diskurs der letzten Jahrzehnte wollte drastische Veränderung, noch heute wirkt er in den „Reform“-Vorstellungen vieler Meinungsmacher und "Experten" nach. Auch der Diskurs der nationalistischen Euro-Gegner oder der Islamophoben bohrt den neu entstandenen Mehrheitsgeist der Weltoffenheit und des Respekts wieder auf, er will den Konsens der Mitte verändern. Um solchen Wandel kann es uns nicht gehen.

„Progressive“ Politik links der Mitte strebt nach eher gleicher Verteilung der wichtigen Lebensressourcen und -güter, sie pocht auf die Gleichberechtigung der Geschlechter und unterschiedlicher Lebensmodelle, sie orientiert sich an der – auch internationalen – Solidarität mit anderen Menschen, sieht wirtschaftliche Macht kritisch und versteht ökologische Zerstörungen als zutiefst ungerecht. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums hält man hierarchische Verhältnisse eher für wohlverdient und wohlgeordnet, sieht den Wettbewerb als das zentrale gesellschaftliche Ordnungsprinzip, hinterfragt klassische Geschlechterrollen nicht und betont Konflikte zwischen Nationen und Kulturen sehr viel stärker als solche zwischen wirtschaftlich Starken und Schwachen.

Die in der Studie vorgefundenen Narrative sind aus meiner Sicht sehr anschlussfähig an unsere Werte und Ziele. Sie sind meist konkret, pragmatisch, regional oder milieuorientiert. Das heißt nicht, dass sie keine Beziehung zu Grundwertdebatten und politischen Wertkategorien haben. Die Studie kann helfen, Anknüpfungspunkte und Verzahnungen zu schaffen, um sozial-ökologischen Veränderungsanliegen zu einer mehrheitsfähigen Sprache zu verhelfen. Ich würde mich freuen, wenn ihr sie dafür auch gewinnbringend findet.

Autor: Michael Kellner

Michael Kellner ist politischer Bundesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen

5 Kommentare

  1. Die Studie zu Narrativen gesellschaftlichen Wandels untersucht Diskursräume jenseits der politisch-medialen Elitenarena.

    Lieber Michael,

    sicher könnt ihr dieses Geschwurbel auch für Menschen jenseits der politisch-medialen Elitenarena in "normales" Deutsch umformulieren, oder? Sonst befürchte ich, es ist wieder mal nur ein nettes Papier aus irgendeinem ThinkTank, das niemanden an unserer Basis mehr motivieren kann und uns weiter im Phlegma der kleinsten Oppositionspartei im Bundestag verharren lässt.

    Besinnen wir uns endlich zurück auf die Grünen Wurzeln. Schärfen wir endlich wieder unser ureigenes Grünes Profil. Seien wir endlich wieder aufmüpfig (was übrigens Aufgabe der Opposition ist – Süßholzraspeln mit der Regierung kann jeder). Sonst bleibt es in der Gesellschaft bei Biedermeier 2.0, gelähmt durch Merkels Raute.

    • Lieber Michael,

      das Thema ist sehr interessant, aber die Sprache völlig verfehlt! Wenn ich Dich nicht etwas kennen würde, dann würde ich denken, hier hat jemand völlig den Bezug zur gesellschaftlichen Realität verloren, versucht aber aus dem Elfenbeinturm heraus darüber zu schreiben. Das geht besser!

      Darüber hinaus stimme ich Ulf vollkommen zu.

      LG
      Frank

  2. Hallo Michael,

    glatt am Publikum vorbeikommuniziert, würd ich mal sagen. In der Politik, der Technik und der Philosophie und vielen anderen Bereichen immer wieder gern gemachter Fehler. Die vergessen alle, dass der potentielle Empfänger abschaltet, wenn er die Botschaft nicht versteht. Die allermeisten Sachen kann man mit normaler deutscher Grammatik und auf deutschen Vokabeln aufbauender Sprache gut und eindeutig erklären. Ich bin mir sicher, dass Dir das in einer überarbeiteten Version auch gelingen wird. Danke & Grüne Grüße
    Micha

  3. Geschwurbel? Geht´s noch? Auf welches Niveau soll man bitte absinken, damit es verständlich wird? Vielleicht sollte man, anstatt die Sprache zu kritisieren, versuchen diesen diskurtheoretischen Ansatz nachzuvollziehen. Ganz abgesehen davon finde ich es unverschämt und arrogant, ausgehend von eigenen Unzulänglichkeiten, der Basis abzusprechen, diesen Text verstehen zu können.  Aber gerne noch mal für alle verständlich: Spitzentext! 

  4. Warum auf nur

    fünf Narrative gestoßen, in denen gefragt wird, „wie wir leben (und arbeiten) wollen“, wie die „Stadt der Zukunft“ aussehen soll, wie eine „Vielfalt selbstbestimmter Lebensformen“ oder „digitale Menschenrechte“?

    Es fehlt ein Essentielles: Industrienormen. Dazu gibt es die Geschichte des Eurosteckers. Vor Jahren traf man sich und es gab zwei Vorstellungen. Die Deutschen waren gewohnt, Maß aller Dinge zu sein. "Ihr" Schuko-Stecker solle doch ganz Europa beglücken. Doch dann kamen die Amerikaner mit ihrem IEC 60320-1 C13/C14. Der ist verpolungssicher. Doch da nölten die Deutschen, der hat aber keine runden Kontakte. Fragezeichen, wozu runde Kontakte? Egal, man einigte sich auf diesen:
    https://de.wikipedia.org/wiki/IEC_60906-1 

    Der ist flacher, neuer und kann alles. Er ist sogar bedingt kompatibel zu dem bekannten Eurostecker. Doch dann kam die Industrie. Sie rechnete vor: alle Maschinen umstellen und anschließend ist es nicht mehr möglich in Spanien und anderen Niedriglohn-Ländern Geräte zu einem anderen Preis zu verkaufen. Es wurde bewusst gegen die interessen der Verbraucher argumentiert. Weil sie kein mitspracherecht haben. Aber auch sonst nicht. Ob DIN oder ISO oder RFC, überall werden Schutzgebühren verlangt. Ein demokratisches Mitspracherecht ist ausgeschlossen. Das Gleiche gilt für ICANN oder die Entwicklung von Smartphones. Solange das so ist, werden die Hersteller die Lebensdauer festlegen, auf dass die Müllberge wachsen. Es betrifft quasi jeden Lebensbereich. Dafür soll zumindest ein Gefühl geschaffen werden.