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Handelsabkommen – eine machtpolitische Agenda

Die Handelsabkommen TTIP, CETA und TISA haben Deutschland aus seinem Dornröschenschlaf aufgeweckt. Seitdem Details aus den Verhandlungen zwischen den USA und der EU für das TTIP-Abkommen öffentlich geworden sind, spielen Fragen der globalen Gerechtigkeit und der ungleichen Auswirkungen des Welthandelssystems wieder eine wichtige Rolle in der Öffentlichkeit. In den letzten Jahren hatten diese Themen eher ein Schattendasein gefristet.

TTIP allerdings mobilisiert. Europaweit gehen seit Monaten Menschen auf die Straße und sammeln Unterschriften für eine Bürgerinitiative gegen TTIP. Auch das Konsultationsverfahren der EU, ein bislang eher spärlich genutztes Instrument, verzeichnete Rekordteilnahmen, als die EU nach Regelungen zu Investor-Staat-Schiedsgerichten in TTIP fragte.

Gründe für die Kritik an den Plänen für TTIP und Co. gibt es viele. Ein besonders wichtiger ist aus meiner Sicht: All diese Abkommen sind Beispiele dafür, wie man den Herausforderungen an ein internationales Regelwerk im 21. Jahrhundert gerade nicht begegnen sollte.

Die Finanz- und Bankenkrise, aber auch die sich abzeichnende Klimakrise führen uns überdeutlich vor Augen, wie dringend es weltweite transparente Spielregeln und starke multilaterale Institutionen braucht, um Märkte wirksam regulieren zu können. Mehr statt weniger internationale Regeln, das muss die politische Agenda des 21. Jahrhunderts sein.

Mit TTIP aber verfolgen die USA und die EU genau diese Politik nicht. Statt dass sich die beiden stärksten Wirtschaftsräume der Welt darauf verständigen, gemeinsam einen Impuls für eine Stärkung der multilateralen Strukturen zu geben, setzen sie auf Blockbildung und Exklusion. Statt hohe Standards und gute Regeln zu definieren, setzen sie auf Deregulierung – getarnt unter dem nur vermeintlich harmlosen Begriff des „Abbaus von Handelshemmnissen“.

In Deutschland begründen CDU und SPD die Verhandlungen zu TTIP damit, dass hierdurch ein neuer „Goldstandard“ für den internationalen Handel geschaffen werden soll. Sie verkaufen uns TTIP als Instrument, um die internationale Ordnung zu gestalten. Die Logik: Auf Grund der wirtschaftlichen Macht, die sich mit TTIP zusammenschließt, wird die Weltgemeinschaft dazu gebracht, die Regeln des TTIP auch global zu akzeptieren. SPD und CDU werden dabei nicht müde, den Menschen einen Entscheidungszwang zu suggerieren: Entweder wir vereinbaren die weltweiten Spielregeln mit den USA, oder China dominiert demnächst die internationale Handelspolitik.

Es ist kurzsichtig, dass die Angst vor China und seiner Wirtschaftsmacht die Bundesregierung in ein bilaterales Handelsabkommen mit den USA treibt. Ihr erklärtes Ziel, weltweit für gute Standards zu sorgen, wird sie damit nicht erreichen. Im Gegenteil lässt sie sich mit dieser Handelspolitik auf eine Strategie der Blockbildung und Gegenblockbildung ein, die dem internationalen Handelssystem schadet und schaden wird. Sie befeuert eine Negativspirale, an deren Ende keine Chance mehr für den Multilateralismus und mehr gemeinsame Regeln stehen wird.

Diese Entwicklung ist bereits jetzt deutlich zu erkennen. So verhandeln die USA parallel zum TTIP auch das transpazifische Abkommen TPP mit diversen asiatischen Staaten, allerdings explizit ohne China. Auch beim Dienstleistungsabkommen TiSA ist China trotz eines klar formulierten Beitrittswunsches nicht dabei. China wiederum verhandelt seit zwei Jahren die Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) mit diversen ASEAN-Staaten sowie Australien, Japan, Indien und Südkorea. Russland setzt auf die eurasische Zollunion, China auf weitere Freihandelsabkommen.

Dieser Trend zur Regionalisierung zeigt eines: Handelsabkommen werden gezielt als machtpolitisches Instrument der internationalen Beziehungen genutzt, das andere ausschließt. Mit erfolgreich abgeschlossenen TTIP & TPP Abkommen wären die USA vermutlich kaum noch auf die WTO angewiesen und würden zumindest auf ökonomischer Ebene eine neue bipolare Weltordnung vorantreiben.

Neben den skizzierten Blockbildungen sind auch immer die Entwicklungsländer, besonders in Afrika, nicht an den Verhandlungen beteiligt. Diese haben nur im Rahmen multilateralen Verhandlungen die Chance, ihre Interessen zu koordinieren, und gemeinsam eine stärkere Position einzunehmen. Durch eine Politik der regionalen Handelsabkommen werden ihre Interessen international noch weiter geschwächt.

Doch auch ökonomisch wird eine Politik der Blockbildung wahrscheinlich geringere Wohlstandseffekte bringen, als ein multilaterales System. Sie schafft nicht unbedingt weniger Schranken für den internationalen Handel, sondern nur Schranken entlang anderer Grenzen. Ob diese Politik der Blockbildung und Gegenblockbildung damit langfristig hohen Standards für den Welthandel sichert, wie etwa Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel verspricht, bleibt fraglich. Im Gegenteil könnte diese Konkurrenz auch zu einem Standardwettkampf nach unten führen.

Trotz aller Schwierigkeiten, die sich bei der Fortentwicklung des multilateralen Systems in den letzten Jahren gezeigt haben, bleibt dieser Weg deshalb die einzig vernünftige Option, die die EU in der internationalen Politik besitzt.

Dabei ist die Herausforderung, die sich der EU stellt eine doppelte: Sie muss zum einen eine Auflösung der Blockade bei den WTO-Debatten erreichen,  gleichzeitig muss sie aber auch eine Reform des WTO-Systems selbst anstreben.

Denn GATT und GATS haben bewiesen, dass sie nicht geeignet sind, eine Schlüsselfunktion im Kampf für globale Gerechtigkeit einzunehmen. Auch diese Verträge orientieren sich in ihrer Grundstruktur an einer Politik der Deregulierung, statt auf starke Regeln und die Schaffung von multilateralen Institutionen zu setzen. Sie orientieren sich allein an Handelsfragen, sie stellen de facto ein Parallelsystem zur UN dar und blenden Themen wie Klimaschutz, Kampf für Menschenrechte oder Biodiversität aus. Eine Agenda, die sich darin erschöpft, nur Finanz, Rohstoff- oder Dienstleistungsmärkte zu deregulieren, kann nicht das Ziel sein. Was wir stattdessen brauchen ist ein multilateraler Rahmen für die Verhandlung eines gerechten Handelsregimes, der auf Basis einer neuen, ganzheitlichen Agenda für Fairhandel entsteht.

Ein gutes Beispiel dafür, dass Kritik an TTIP und Co. auch dafür genutzt werden kann, produktiv wieder in die Debatte um multilaterale Institutionen einzusteigen, sind die Ideen für eine mögliche Reform des internationalen Rechts zur Absicherung von Investitionen. Sigmar Gabriel selbst hat als Lösung für die kontroverse Debatte um die Investor-Staat-Schiedsgerichte im Rahmen der bilateralen Handelsabkommen nun die Schaffung eines internationalen Gerichtshofs für Handelsfragen vorgeschlagen. Auch wenn zu befürchten ist, dass Gabriel diesen Vorschlag nur deshalb gemacht hat, um davon abzulenken, dass er eben nicht in der Lage ist, relevante Reformen am System der Schiedsgerichte im Rahmen von TTIP und CETA zu erreichen, sollten wir diese Debatte als Grüne offensiv aufgreifen.

Denn es ist grundsätzlich sinnvoll, zu einer stärkeren Verrechtlichung des internationalen Handels zu kommen – weg von bilateralen Investitionsschutzverträgen, intransparenten Schiedsgerichten und ad hoc Fallentscheidungen, hin zu einer ständigen Gerichtsbarkeit, die nach transparenten rechtsstaatlichen Grundsätzen arbeitet und eine Interessensabwägung zwischen unterschiedlichen Rechtsgütern – nicht allein Handelsfragen – gewährleistet und es auch ermöglicht, dass Prinzipien wie das Vorsorgeprinzip nicht allein deshalb unter Rechtfertigungsdruck geraten, weil sie etwa vor einem Schiedsgericht der WTO als vermeintliches Handelshemmnis interpretiert werden, wie es im Fall des EU-Importverbots für hormonell behandeltes Rindfleisch der Fall war. Gleichzeitig muss das Handelsrecht so gestaltet sein, dass es für die Investoren international nicht nur Schutzrechte definiert, sondern auch Pflichten – etwa die Einhaltung von Arbeitsschutzbestimmungen, Menschenrechten oder dem Schutz der Umwelt einfordert. Und es muss diskutiert werden, wie eine Gleichberechtigung unterschiedlicher Interessensgruppen gewahrt werden kann, die nicht nur den Investor schützt, sondern auch die Interessen von Staaten, zivilgesellschaftlichen Gruppen, oder Einzelpersonen.

Die Debatte hat gerade erst begonnen

Seit 2013 wird über TTIP verhandelt. Wir Grüne haben gemeinsam mit vielen zivilgesellschaftlichen Akteuren seit diesem Zeitpunkt eine Vielzahl an Kritikpunkten an diesen Abkommen formuliert. Wir sollten die Debatte vermehrt auch dazu nutzen, stärker in der Öffentlichkeit für gute Reformen eines internationalen Welthandelssystems zu werben. Gleichzeitig müssen wir dafür kämpfen, dass ein Abschluss möglicher bilateraler Abkommen, diesen Reformoptionen nicht im Wege steht. Ein erster Schritt wäre ein Ausschluss der Investitionsschutzabkommen aus den geplanten Handelsabkommen der EU. Doch weitere müssten folgen. Bilaterale Handelsabkommen müssen, solange sie parallel zum multilateralen System bestehen, so schlank, offen und flexibel verhandelt werden, dass sie mehr gemeinsamen Regeln nicht im Wege stehen. Das betrifft Themen wie regulatorische Kooperation, Marktzugang und Zölle, genauso wie die Beitritts-, Änderungs- und Kündigungsklauseln. Für Abkommen von der Tragweite des TTIP ist es nicht ungewöhnlich, dass mehrere Jahre ins Land gehen, bevor ein Abkommen steht. Zeit, die wir nutzen sollten, um unsere Vorstellungen von einer gerechten Globalisierung, einem fairen Handelssystem und guten Handelsabkommen in die Debatte zu bringen. CDU und SPD haben den Multilateralismus in der internationalen Handelspolitik als Lösungsansatz über Bord geworfen. Es muss deshalb unsere Aufgabe als Grüne sein, für einen solchen Ansatz zu werben, für Fairhandel statt Freihandel.  Niemand sollte  glauben, dass allein der massive Protest der letzten Monate – so erfolgreich er auch war und ist – ausreichen wird, um die Handelspolitik in Europa dauerhaft auf einen fairen Kurs auszurichten. Bis Europa von einer Freihandelspolitik auf eine Fairhandelspolitik umschaltet, gibt es noch viel zu tun.

Autor: Katharina Dröge

Katharina Dröge ist seit 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages, Parlamentarische Geschäftsführerin und Mitglied im Fraktionsvorstand der Grünen Bundestagsfraktion. Sie ist Sprecherin für Wettbewerbspolitik und Sprecherin für Handelspolitik.

2 Kommentare

  1. Jau! Guter Beitrag mit wichtigstem Argument.

    Nur bitte nicht vergessen die ganzen Antisemiten in der Debatte zu fronten.

    "TTIP allerdings mobilisiert" hat nämlich in erster Linie eine erschreckende Komponente.

  2. Herzlichen Glückwunsch! Ihr Text hat es als Material ins Wirtschaftsabitur an allgemeinbildenden Gymnasien in Baden-Württemberg geschafft.