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Vision impossible? Bausteine einer neuen grünen Erzählung von der Wirtschaft

Haben wir Grüne eigentlich eine Vision davon, wie die Wirtschaft von morgen aussehen könnte oder haben wir uns wie alle anderen völlig in der Wachstumslogik des Kapitalismus eingerichtet? Wir haben seit der Bundestagswahl viel darüber diskutiert, was sich ändern muss. Ein Ergebnis: Wir müssen uns wieder trauen, eine Vision zu entwickeln. Doch was ist die Erzählung Grüner Wirtschaftspolitik?

Drei Aspekte gehören für mich zu einer solchen Erzählung:

(1) Wir brauchen eine Wirtschaft, die den Menschen dient und ihnen Selbstbestimmung ermöglicht. Wir müssen Schluss machen mit der Dominanz einiger weniger Großkonzerne, die nicht die Bedürfnisse der Menschen, sondern nur die eigene Gewinnmarge im Blick haben. Viel zu oft erleben wir, dass Finanzprodukte nur ein Ziel haben: Geld in die Kassen derjenigen spülen, die sie vertreiben. Ähnlich ist das bei vielen anderen Produkten, seien es Haushaltsgeräte oder Lebensmittel. Große Unternehmen erzielen allein durch Marktmacht bessere Renditen, ohne dass ihre Produkte für die Kundinnen und Kunden besser wären als diejenigen der Konkurrenz.

Was heißt das für uns? Wir müssen Machtkonzentration durch ein schärferes Kartellrecht verhindern und wir dürfen uns auch nicht scheuen, zu mächtige Konzernstrukturen zu entflechten. Dazu gehört auch, die Umverteilungsmaschinerie Finanzmarkt zu stoppen und die enorme Macht durch Vermögenskonzentration abzubauen. Ich sehe für die Grünen eine Chance als Anti-Big-Business Partei. Wir müssen zurück zu einer kleinteiligeren, dezentraleren Wirtschaft, die näher an den Menschen ist.

(2) Wir müssen uns trauen, das Wachstumsdogma ernsthaft in Frage zu stellen, weil es für unsere hochentwickelte Wirtschaft immer mehr zur Illusion wird. An ihm festzuhalten, führt zu immer weiteren Krisen und zerstört unseren Planeten. Bis jetzt ist es noch nicht gelungen, ein Mehr an Wachstum ohne ein Mehr an Ressourcenverbrauch und Verschmutzung zu ermöglichen. Absolute Entkopplung bleibt ein Traum. Die „grüne Revolution“, wie sie zum Beispiel von Ralf Fücks proklamiert wird, greift zu kurz. Allerdings reicht es nicht, einfach nur Wachstumskritiker zu sein. Die Alternativen müssen konkret durchbuchstabiert werden – ganz besonders auch ökonomisch. Wie können wir eine Wirtschaft ohne Wachstum überhaupt stabil halten? Für Deutschland werden für die Zukunft deutlich niedrigere Wachstumsraten erwartet. Da bringt es wenig, einfach ein Ende des Wachstums zu fordern.  Wir brauchen ein Szenario für Deutschland, wie wir trotz Niedrigwachstum Arbeitslosigkeit, Überschuldung und Armut verhindern können. Dazu gehören auch Fragen wie Zeitpolitik und grundlegende Reformen unserer Sozialsysteme. Für Kanada und Österreich liegen bereits erste Szenarien vor. Hier müssen wir ansetzen und uns trauen voranzugehen, um wieder Teil der progressiven Bewegung zu werden, die die herrschenden Verhältnisse grundlegend in Frage stellt.

(3) Grüne denken bei Wirtschaft nicht nur an Geld. Denn Menschen sind mehr als herumlaufende Geldbeutel. Damit stellen wir uns gegen den Kapitalismus, aber nicht gegen die Marktwirtschaft. Bei der Pflege kümmern wir Grüne uns nicht nur darum, ob sie richtig finanziert ist, sondern z.B. auch darum, dass Sterbende eine menschliche Begleitung erfahren. Wir wollen, dass unser Wirtschaften die ökologischen Grenzen unseres Planeten sowie Rechte und Würde der Beschäftigten respektiert. Und uns interessiert nicht nur, ob Deutschland einen Exportüberschuss hat, sondern auch, ob wir unser Geld im Ausland mit Waffenexporten in Krisenregionen oder mit Umwelttechnik verdienen. Dieser Blick auf Wirtschaft ist ein Alleinstellungsmerkmal, das wir stärker nutzen sollten: Unternehmensbilanzen sollten ökologische und soziale Daten in gleicher Weise enthalten wie monetäre Größen. Die Wirtschaftspolitik sollte sich nicht nur am BIP, sondern auch an der Entwicklung der Verteilung, des ökologischen Fußabdrucks und der Zufriedenheit orientieren. Wir sollten uns zutrauen, solche Fragen der Verantwortung zu thematisieren.

Wir Grüne sind einst aus den Neuen sozialen Bewegungen der 60er und 70er Jahre entstanden. Auch heute engagieren sich Menschen in zivilgesellschaftlichen Bewegungen, die weiter denken als bis zur nächsten Wahl. Wir müssen wieder stärker an diese Bewegungen anknüpfen, uns davon inspirieren lassen und strategisch mit ihnen kooperieren.

8 Kommentare

  1. Die Ansätze im Beitrag von Gerhard Schick teile ich alle.

    Einige weitere Aspekte für unsere Visionen sollten wir noch bedenken, ohne dass ich in diesem Kommentar schon fertige Lösungen dafür hätte:

    1. Unser Blick darf nicht nur auf Deutschland gerichtet sein, sondern muss international sein und sich ganz besonders auf die EU mit all ihren Verflechtungen konzentrieren. Selbstverständlich sind die Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten einer Partei außerhalb des eigenen Landes geringer als im eigenen Land, aber wir haben auch Mit-Verantwortung für andere Gesellschaften und werden alleine in Deutschland nicht auf rein qualitatives Wachstum oder eine ganz andere Wachstumsstrategie setzen können. Dabei geht es nicht nur um "Exportüberschuss" und Geld im Ausland verdienen, sondern auch um gemeinsam zu lösende gestalterische Fragen.

    2. Gerhard hat bereits die "Umverteilungsmaschinerie Finanzmarkt" angesprochen. Diverse Krisen der letzten Jahre haben gezeigt, wie groß die Macht einiger Banken ist. Wahrscheinlich ist deren Einfluss noch viel größer als die "Dominanz einiger weniger Großkonzerne".

    3. Die Veränderungen der Altersstruktur in unserer und in anderen Gesellschaften werden erhebliche Veränderungen des Wirtschaftens erforderlich machen, national und international. Finanzierung der Pflege und Sterbegleitung (s. Abschnitt 3 im Text) sind einige wichtige Bereiche dieses Wandels hin zu einer insgesamt erheblich älter werdenden Gesellschaft – neben vielen anderen Aufgaben, die in diesem Zusammenhang auf uns zukommen und mit denen wir uns auch im Rahmen von Wirtschaftskonzepten noch mehr befassen müssen als bisher. Daneben benötigen wir aber nach wie vor gute Lebensbedingungen und Perspektiven auch für junge Leute und Familien. Dafür sind die Beachtung der "ökologischen Grenzen unseres Planeten" sowie Respekt für "Rechte und Würde der Beschäftigten" gute Ansätze.

  2. Hallo Gerhard,

    bin mit Deinen Ideen durchaus einverstanden.

    Die Anti-Big-Business Partei ist ein gutes Label für uns.  Zu den angedachten Maßnahmen gehört natürlich auch eine Deckelung des Einkommens (inklusive Boni) für Leistungen aller Art.  Die Bandbreite sollte 20 zu 1 nicht überschreiten.

    Was auch dazu gehört, ist die Verpflichtung, jedem Bürger einen Arbeitsplatz zu verschaffen . Nur durch die Erbringung von sinnvoller Arbeit erhält der Mensch seine ihm im Grundgesetz zugesprochene Würde.  Wie aber soll das möglich sein, wenn durch ständige Rationalisierungen und Automatisierung immer weniger Menschen für den Produktionsprozess benötigt werden?  Aufgaben im tertiären Sektor sind natürlich die Lösung.  Nur, wo werden die produktiven Gegenwerte erarbeitet, um derartige Arbeitsplätze zu bezahlen?  Sie werden zunehmend von immer weniger, immer größer werdenden Global Players erarbeitet, die ihren Gewinn nicht an die Staaten, in denen sie ihren Gewinn erzielen, in Form von Steuern teilweise zurückgeben, sondern diesen an ihre Eigentümer (Aktionäre) weiterleiten.

    Deshalb als weiterer Reformpunkt das, was Attac seit langem fordert: die Besteuerung dort, wo der Gewinn generiert wird.

    Letzter Kommentar: Die schönsten Visionen helfen nichts, wenn der Wähler dies nicht versteht oder nicht will, wer er unsere Werte nicht teilt. Vorrangig muss unsere Politik daher dem Erziehungssektor die größte Priorität widmen.  Hier müssen die Grundlagen für die Grundwerte von Freiheit, Gleichheit und Solidarität gelegt werden.  Dabei ist die Kita wichtiger als der Kindergarten und dieser wieder wichtiger als die Grundschule und diese wichtiger als weiterführenden Schulen.

     

     

  3. Hallo Gerhard,

    ich freue mich sehr, dass du hier eine Lanze brichst für einen ernsthaften Umgang mit der wachstumskritischen Debatte. Das habe ich, bei aller berechtigten Sorge um die Konkretheit von Entwürfen für eine Postwachstumsgesellschaft, zuletzt vermisst in der Grünen Debatte. Zwei Anmerkungen:

    a) Ja, diese Szenarien für Österreich und Kanada existieren, aber das Rüstzeug politische und ökonomische Studien über ein Europa/Deutschland jenseits der Wachstumsabhängigkeit scheint noch nicht sehr weit entwickelt zu sein. Als Partei eine Studie erstellen zu lassen, die diese Pionierarbeit leistet, würde uns gut zu Gesicht stehen. Sie wäre vor allem parteiintern ein Fundament, auf dem sich unser Programm weiter entwickeln ließe.

    b) So eine Studie allein würde natürlich kaum reichen für eine neue Grüne Erzählung. Die progressive Nachhaltigkeitscommunity würde sie dankbar aufnehmen (was schon viel wäre angesichts des Imageschadens, den wir durch die Debattendominanz der Grün-Industriellen Revolutionäre erlitten haben), aber sie wüde nicht die Überzeugungskraft im Sinne einer politischen Vision entwickeln. Die Story "Anti-Big-Business" würde letzteres zwar leisten und hätte das Zeug dazu, unser wirtschaftspolitisches Profil zu schärfen. Aber sie bliebe dabei hauptsächlich ex negativo motiviert, da das Gegenbild einer dezentralen und bedürfnisorientierten Ökonomie noch zu weit weg ist von den Alltagserfahrungen der Menschen.

    Was fehlt ist eine individuell verständliche Geschichte, die den Willen der Menschen ernst nimmt, selbstbestimmt und nicht auf Kosten anderer zu leben (zwischenmenschlich nicht und auch nicht global). Eine, die unsere Vorstellungen von Politik verbindet mit dem Anspruch einer jeden Person auf ein solches Gutes Leben. Entlang dieses "Rechts auf Gutes Leben für alle" lässt sich unsere emanzipatorische Politik begründen und auch verteidigen, wenn sie die Selbstbestimmung an einer Stelle enschränkt, um sie in größerem Umfang an anderer Stelle für mehr Menschen zu ermöglichen. Und zudem wäre eine solche Erzählung in der Lage, die Einschränkungen im Alltag zu thematisieren, denen Versuche eines Guten Lebens heute ausgesetzt sind und diese als das zu benennen, was sie sind: Einschränkungen der Freitheit, nicht die Freiheit anderer zu beschränken.

    Ich bin jedenfalls gespannt, wie wir diesen alternativen Grünen Geschichten in der anstehenden Debatte zum Durchbruch verhelfen können.

  4. Lieber Gerhard,

    es freut mich so etwas von einem Grünen zu lesen. Allerdings scheint mir Deine Meinung noch ein bisschen die Ausnahme in den Parteigremien. Und in der Basis? Die hat, glaube ich, noch keine Idee von einer Wirtschaft, die anders funktionieren könnte als unsere heutige.

    Wie siehst Du denn die Gemeinwohlökonomie von Christian Felber et al? Wäre das nicht schon ein Konzept, dass auch die Grünen verfolgen, unterstützen und weiterentwickeln könnten? Da ist doch genau das drin, was Du schreibst: kleingliedrige Wirtschaft – keine Konzerne bzw. mit großer Steuerbelastung und größerem Aufwand in Verwaltung etc., Wirtschaft mit Mitbestimmung durch Mitarbeiter*innenschaft und Finanzwirtschaft nur noch als Dienstleister statt als Wertschöpfer. Oder?

    Liebe Grüße aus Offenburg

    Jochen Walter

  5. Lieber Gerhard,

    ich bin Dir sehr dankbar, dass Du das Thema "Macht als Wettbewerbsverzerrung" thematisiert hast. Aber Du bleibst für meinen Geschmack gedanklich in der "Ökonomie von Gut und Böse" stecken, d. h. Du willst Regulierung nur dort, wo Nachteile für die Konsumenten und die Bürger drohen. Ein großer Konzern, der sich "anständig" verhält, scheint für Dich kein Problem zu sein. Aber wer definiert, wo der Anstand aufhört? Wer definiert, welche Produkte "schlecht" sind? Die Bündnisgrünen geraten immer wieder in die Defensive, weil sie sich solche Zuschreibungen anmaßen.

    Ein wirklich ordoliberales Wirtschaftskonzept muss das Ziel haben, eine gerechte und nachhaltige Gesellschaft mit einem Minimum an normativen Voraussetzungen zu erreichen. Dazu gehören vor allem drei Prinzipien:

    1. Leistungsprinzip: Strukturell leistungslose Einkommen (strukturelle Renten) müssen unterbunden werden. Das betrifft in erster Linie (a) Rohstoffverbrauch, (b) Grund und Boden, (c) Missbrauch öffentlicher Güter (Commons), (d) Geldschöpfung durch die Geschäftsbanken.

    2. Machtbegrenzung: Demokratisierung der Wirtschaft bedeutet nicht in erster Linie Mitbestimmung, sondern Machtbegrenzung, wie wir das im politischen Raum bereits kennen (z. B. Gewaltenteilung, Checks and Balances). Wirtschaftliche Machtbegrenzung bedeutet Obergrenzen für Privatvermögen und die Größe von Unternehmen. Das hängt auch eng mit dem Leistungsprinzip zusammen: Niemand kann unendlich viel leisten, deshalb gibt es keinen guten Grund für Reichtum.

    3. Reziprozität: Wir sind nicht alleine auf der Welt, sondern auf gesellschaftliche Institutionen der Kooperation, der Risikoabsicherung und der Zukunftssicherung angewiesen. Dies begründet beispielsweise die Notwendigkeit einer einheitlichen Sozialversicherung, aber auch eine langfristige Bevölkerungspolitik (und vieles andere mehr …).

    Ganz zentral ist jedoch das Primat der normativen Neutralität: Diesen Prinzipien ist ohne Ansehen der Person, des Unternehmens oder des Produktes Geltung zu verschaffen, d. h. alle leistungslosen Einkommen sind zu beschränken, alle Vermögen sind zu begrenzen, alle sind an den reziproken Systemen zu beteiligen usw. Mit einer solchen systemischen Regulierung (Verfasstheit) kann man sich eine ganze Menge "Feinregulierung" ersparen – also genau das, was ich etwas bissig als "Ökonomie von Gut und Böse" bezeichne. Erst dann wird wirklich ein ordoliberaler Standpunkt draus, auf den Du Dich zu Recht gern beziehst.

    Herzlich,
    Andreas

  6. Lieber Gerhard,
    ein paar ketzerische Gedanken.
    zu 1:
    An Antitrust gibt es reichlich Erfahrungen. Das Land mit einer immer noch scharfen Antitrust-Gesetzgebung sind die USA. Aber was hat es gebracht? Die Antwort vermag sich jede/r selbst geben. Du führst nicht weiter aus, was du damit meinst. Eventuell gibt dein Buch ja darüber Auskunft? Ich muss mir demnächst besorgen. Ist es jedoch nicht so, dass dem Wesen unseres Wirtschaftssystems, das ja nicht vom Himmel gefallen ist, auch wenn man nach ungefähr 500 Jahren schon glauben mag, das sei sozusagen "Naturgesetzt", entspricht, eben Trusts, also Konzerne zu bilden? Es ist der bekannte  Form des Wettbewerbes immanent, "größere Einheiten" zu bilden, die gegenüber anderen Formen im Vorteil sind. Das brauche ich glaube ich, nicht weiter auszuführen.
    1b) Die von Dirk angesprochene "Deckelung von Einkommen", halte ich für gar nicht zielführend. Eigentlich braucht sich doch niemand beschweren. Würden die Gewerkschaften tatsächlich ihrer Aufgabe wahrnehmen, statt gegen sogenannte privelegierte Kleingewerkschaften (Flugpersonal) zu pöbeln, also die Umverteilung innerhalb der Einkommen abhängig Beschäftigter in eine Neiddiskussion verwandeln, hätten alle was davon. Außerdem: Man könnte auch sagen, die Boni und Managergehälter die ja in der Hauptsache in großen Aktiengesellschaften gezahlt werden, sind in erster Linie ein Problem der Aktionäre – die segnen das schließlich ab.
    zu 2) In den '80iger Jahren hatte man das "Problem" der Produktivitätssteigerung bereits erkannt. Auch die Frage, wer den Profit daraus einsteckt, etwa den entstehenden Mehrwert aus Arbeit, weil heute eine Arbeitskraft, sagen wir das 10 oder 20 fache von dem leistet, aber dies für die Einen in der wirtschaftlichen Tragödie "wird nicht mehr gebraucht" endet, andren aber den Profit mehrt, selbst wenn man einrechnet, dass auch Maschinen erst einmal von Menschen hergestellt werden müssen, war seinerzeit bekannt. So gab es etwa die Diskussion um eine "Maschinensteuer". In einer Gesellschaft in der sich alles wirtschaftlich "lohnen" muss, waren solche Ideen natürlich schnell in der Versenkung verschwunden.
    Ein Ausdruck alternativen Denkens waren Broschüren wie "Lieber krank feiern als gesund schuften", die zum Ausdruck brachten, dass der Mensch eigentlich "'ne faule Socke ist", in dem Sinne, dass sein ganzes Streben nach großer Hebelwirkung ausgerichtet ist, also "mit wenig Aufwand viel erreichen".
    Hierhin gehört auch die Diskussion um Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich oder die heute so gescholtene Frühverrentung. Alles Beiträge der Gesellschaft den Mehrwert aus Produktivitätssteigerung zu Gute kommen zu lassen. Leider schwand dieses Denken, erdrückt von einer zunehmend um sich greifenden, ich nenne sie mal, protestantischen Arbeitsmoral der "Häuslebauer" und des Traums, jede/r könne vom Tellerwäscher zum Millionär werden. Die ungehemmte Wachstumsideologie sollte auch näher betrachtet werden. Während der technische Fortschritt es erlauben würde, viele Dinge so zu produzieren, dass sie schlicht ein Menschenleben ihre Arbeit verrichten können, pervertiert die Wissenschaft dahin, dass man absichtlich "Sollbruchstellen" einbaut. Außerdem – es gilt als langweilig, mit ner "Telefonzelle" rumzulaufen, also "braucht" Mensch sozusagen halbjährlich ein Trendy-Handy … Dem ist mit Verboten nicht beizukommen, sondern eine Chance bestünde nur darin, dass hier ein massenhaftes Umdenken einsetzt. Stattdessen feiern "wir" die Exporterfolge zum Beispiel der Autombilindustrie in China. Das ist der Klimakiller Nummer eins. So what?
    Die "Vision" der DDR-Stalinisten bestand darin, den "Westen ein- besser überholen zu wollen", in dem die den Konsum- hier nannten es einige (terror) schlicht nachäfften. Sich Alternativen auszudenken, lag den Spießern bekanntlich fern. Zu mehr als einem Trabbi hats nicht gereicht (auch nur ein Karren auf vier Rädern mit veraltetem Verbrennungsmotor statt Pferde- oder Ochsenantrieb). Ich meine, eine Vision müsste schon tiefer gehen und sich strategische "Güter", Transport- also Verteilung Güter/Mensch, Stadtentwicklung und so weiter ansehen und eben dazu konkrete Alternativen entwickeln, statt mit Schlagworten nichts zu sagen.
    zu 3) Die Besetuerung dort, wo der Gewinn generiert wird? Findet das nicht bereits partiell statt? Wenn etwa ein Gegenstand in einem Land "a", sagen wir zu 1 Euro produziert wird, hier aber zu 10 Euro verkauft wird, besteuert das Land "b" zu, sagen wir 19% (z.B. Deutschland). Für die vertreibende Stelle fallen ebenfalls Lohn- und Einkommenssteuern und ggf. auch Gewerbesteuer an. Einmal abgesehen von den Möglichkeiten des Gewinntransfers (etwa das Lizenzwesen und dergleichen). Davon hat aber bislang das Land "a" gar nichts.

    Gerade unter uns Grünen wird gerne von "WinWin" Situationen gesprochen, um Ideen besser verkaufen zu können. Oft geht es aber auch darum, gerade in Fragen die das Leben der Menschen unmittelbar betreffen, sehr imperativ zu argumentieren. Beides scheint mir ein wenig Erfolg versprechender Weg. Denn um zum Beispiel dem Land "a" eine Verbesserung bieten zu können, muss das Land "b" "abgeben". Dahin ist es ein langer Weg. Von Ausnahmen abgesehen, glaube ich, es geht eher ein Elefant durchs Nadelöhr als dass, von Ausnahmen abgesehen, Reichtum freiwillig verzichtet. Und wenn, dann wird das nur über eine große, der gesamten Menschheit nützliche Vision eine gewisse Chance auf Erfolg haben können. Diese muss sicher auch beinhalten, dass man im Übergang einen gewissen "Bestandsschutz" garantiert (Eigentumsfrage) aber gegebenenfalls wird man "Eigentum entmachten" ("Geld regiert die Welt") müssen. Mit Klein-Klein und herumbosseln an Symptomen, werden wir als GRÜNE nicht weiter kommen – es sei denn es reicht uns "mit zu gestalten", was auch immer dazu führt, dass es Gekniffene gibt – siehe Hartz"Reformen", und irgenwie das eigene Hinterteil im "Warmen" zu wissen.

    Grüße
    Simon
    KV Limburg-Weilburg

  7. Stichworte für die Grüne Wirtschafts"erzählung"

    Gerhard Schick hat drei Stichworte in seinem Aufschlag genannt: Anti-Big-Business, Wachstumskritik, Ethik, auf dem Kongress hat er als vierten Punkt: Europa dazugefügt, was ich für dringend nötig halte, weil Europa der poltische und wirtschaftliche Raum sein kann, sein wird, wo es evtl. zuerst gelingt, diese Punkte in die Umsetzung zu bringen. Sven Giegold u.a. zeigen, wieviel schon in dieser Richtung möglich ist.

    Zum Punkt 1: Anti-Big-Business   bzw. gegen "große Unternehmen"  Als Lösungsweg deutet Gerhard Schick an verschärftes Kartellrecht an. Das finde ich richtig, ebenso wenn Gerhard Schick von einem grünen Ordo-Liberalismus spricht. Aber verschärftes Kartellrecht zielt  auf "Anti-Trust" und das ist nicht gleich "Anti-Big-Business". Hier gibt es m.E. noch vielen Klärungsbedarf und Daniel Constein hat m.E. recht, das ist eine Negativ-Erzählung, es fehlt die positiv Erzählung und die wird nicht nur eine "Mittelstandspolitik" sein können.  Die Zweifel, die Simon Lissner bezüglich "Anti-Trust" äußert, sind m.E. auch ernst zu nehmen.

    Zum Punkt 2: Wachstumskritik   Reinhard Loos weist zurecht darauf hin, dass bei dieser Frage nicht nur an Deutschland zu denken ist, nicht einmal nur an Europa, die nördlichen Industriestaaten o.ä. . Gerhard Schick  spricht zuerst ganz allgemein von "Wachstum" und dann konkreter von Deutschland. Diese Ungeauigkeiten und die Bedienung von Lieblingsfeindbilder ("Ralf Fücks") prägen m.E. zur Zeit noch die Debatte.  Welches Einsparpotential, welcher Schrumpfungsumfang gibt es in Deutschland/Europa/Nordamerika als Anteil an dem weltweiten Ressourcenverbrauch? Für wieviel reicht das, wieviel mus auf andere Weise erreicht werden?  Barbara Unmüßig hat drei Stichworte dazu genannt: besser (Effizienz  u.a.), anders (Substitution, andere Technologie u.a.) und weniger. Das scheint mir für die grüne Erzählung von einer "guten Wirtschaft" eine tragfähige Grundlage zu sein, auf die sich alle stellen können. Ralf Fücks tut das auch in seinem Buch.  Wie sich diese drei Stichworte in der jeweiligen Region ausbuchstabieren lassen, wird unterschiedlich sein, dass es in Deutschland mehr um "weniger" geht als woanders, dürfte Konsens sein, Aber schon Griechenland? Geht es auch dort nach dem Einbruch um "weniger", oder geht da eher um anders und besser?  Dieser Punkt taugt leider sehr zu ideologischen Schlachten alter Zeiten, wir sollten sie nicht führen.

    Zum Punkt 3: Ethik    Hier gibt es m.E. den größten Konsens, Grüne stehen für eine wertorientierte Politik, auch in der Wirtschaft. Dafür finden sie viele Verbündete, auch in der Wirtschaft. Der "ehrbare Kaufmann" ist kein Hirngespinst, eine nachhaltige Wirtschaft ist möglich, eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft wie sie das Konzept der "Blue Economy" entwirft, könnte ein eine gute Grundlage für uns sein, allerdings eine ziemlich herausfordernde. Bisher sehe ich kaum einen Ansatz, dass sich die Grünen damit intensiv beschäftigen.

    Frohe Ostern

    Dirk Jordan, Berlin

     

  8. Ich bin der Meinung, dass der Text von vollkommen falschen Voraussetzungen und  Betrachtungen unseres Wirtschafssystems ausgeht und deswegen vollkommen in die Irre leitet:

     

    zu Punkt 1: weniger Dominanz von Großkonzernen

    Das Wirtschaftssystem, in dem wir leben, nennt sich Kapitalismus. Das bedeutet, dass unser Wohlstand darauf beruht, dass wir Maschinen zur Produktion unserer Güter einsetzen. Das ist inzwischen mit enormen Investitionen verbunden, die nur von großen Playern überhaupt geleistet werden können. Daher auch das inzwischen hohe Maß an Konzentration: hinter 2/3 der Wirtschaftsleistung stecken etwas weniger als 1% aller Unternehmen. Größe ist hier nicht das Problem sondern die Deregulierung zu der auch grüne Politik mit maßgeblich mit beigetragen hat. Zwangsläufig damit verbunden sind Vermögenskonzentrationen. Aber auch die sind kein Problem, solange man die Arbeitnehmer in ihren Rechten nicht schwächt. Aber genau das war der Kern der Rot-Grünen Agendapolitik. Die nächsten Probleme stehen bereits vor der Tür: die Entmachtung des demokratischen Gemeinwesens durch Abkommen wie TTIP, CETA und TISA, die die logische Fortsetzung der Deregulierung der vergangenen Jahrzehnte ist. Hier ist Handlungsbedarf angesagt und weniger beim Kartellrecht.

    Die Idee einer kleinteiligen dezentralen Wirtschaft ist in meinen Augen ahistorisch, weil er vollkommen verkennt, worauf die positive Entwicklung der letzten 200 Jahren beruht: auf der Schaffung von Kapital. Zudem haftet dieser Betrachtung ein Duft von Neoliberalismus an, der den Erfolg von Wirtschaft im Wettbewerb sieht und eben nicht als Ergebnis von Investitionen in Maschinen. Wenn man die Funktionsweise einer kapitalistischen Wirtschaft hingegen antizipiert, dann eröffnen sich einem eine Menge Möglichkeiten über das Mittel der Regulierung. Man kann so einer Wirtschaft nämlich Vorgaben machen. Denn eine kapitalistische Wirtschaft basiert eben nicht auf schwer kontrollierbarem Wettbewerb sondern auf langfristigen Planungen. In diese Planungen kann man durch geschickte Regulierung eingreifen: Man könnte z.B. für die EU das Ziel ausgeben, dass ab 2030 keine Autos mit Brennstoffmotoren mehr verkauft werden dürfen. Die großen Konzerne haben sowohl die planerischen wie auch die ökonomischen Vorraussetzungen, solche Pläne umzusetzen. Sie werden es zwar nicht wollen, weil das ihre Gewinne schmälert, aber sie können es, wenn sie müssen.

    zu Punkt 2: Wachstumsdogma

    Dass das ein ein Dogma ist, das ist ein Missverständnis. Wachstum ist mit dem Kapitalismus zwangshaft verknüpft. Ein Kapitalismus ohne Wachstum ist ein Kapitalismus in der Krise. Wer versucht, dem Kapitalismus diesen Zahn zu ziehen bugsiert sich politisch auf Dauer ins Aus, weil das großes Leid über die Menschen bringt. In einer Demokratie funktioniert das nicht. Wie eine kapitalistische Volkswirtschaft ohne Wachstum aussieht, das kann man aktuell sehr gut in Griechenland sehen. Diese Not wird langfristig Kräfte hervorbringen, die die Wiederherstellung des alten Zustandes versprechen. Zum Ende der Weimarer Republik war das die NSDAP. Die demokratischen Parteien hatten sich davor wirtschaftspolitisch vollkommen desavouiert. So dramatisch muss das zwar nicht wieder ausgehen, aber unsere Partei wäre danach politisch tot.

    Richtig ist aber, dass wir langfristig eine andere Wirtschaftsform brauchen, da Wachstum mit einem wachsenden Ressourcenverbrauch verbunden ist. Viel entscheidender als die Wirtschaftsform an sich wird dabei dann aber sein, wie man eine kapitalistische Volkswirtschaft transformiert, ohne möglichst viel Leid zu verursachen. In einer Demokratie, in der alle paar Jahre über ihre Zukunft abstimmen dürfen, ist das entscheidend.

    Aktuell stehen aber eine Menge anderer Transformationen an, die möglichst bald umgesetzt werden müssen. Da sind zum einen die Implikationen aus dem Klimawandel und zum anderen die Befriedigung der Bedürfnisse einer weiterhin wachsenden Bevölkerung auf diesem Planeten. Die werden vom Kapitalismus nicht lassen, da er das Versprechen enthält, dass sie bei den Lebensbedingungen zu uns aufschließen können, d.h. die Flucht aus der Armut. Das bedeutet, dass wir gleichzeitig den Furor, den der Kapitalismus seit über 200 Jahren erzeugt jetzt sinnvoll einsetzen müssen statt ihn sinnlos zu verplempern und dass wir gleichzeitig eine Alternative für die nahe Zukunft entwickeln müssen. Das erlaubt uns eine positive Erzählung der Vergangenheit (der Kapitalismus ist in der Geschichte der Menschheit eine einmalige Erfolgsgeschichte) und eine positive Erzählung für eine gute Zukunft. Und so stellen wir uns in der Beurteilung der Vergangenheit nicht gegen die Erfahrungen, die die Menschen gemacht haben sondern erlangen so Glaubwürdigkeit.

    zu Punkt 3: "Damit stellen wir uns gegen den Kapitalismus, aber nicht gegen die Marktwirtschaft."

    Die Idee der Marktwirtschaft ist ein Propagandamittel im Sinne derer, die über das Kapital verfügen und ihre Macht festigen und weiter ausdehnen wollen. Marktwirtschaft findet bei uns nur in Nischen statt und das sind meist Orte, die kein Wachstum erzeugen und deswegen eben nicht zu dem Wohlstand beitragen, in dem wir heute leben (was nicht bedeutet, dass diese Bereiche unwichtig sind). Nach den Spielregeln der Marktwirtschaft gewinnt aber immer das Kapital, weil sein Vorsprung immens ist. Mit dieser Vorstellung bugsieren wir uns wirtschaftspolitisch ins Aus, weil die Logik hinter der Marktwirtschaft Regulierung ausschließt. Damit verfestigen wir entweder die Macht des Kapital oder führen das Land und Europa in wirtschaftliche Krisen, so wie in der Vergangenheit. Zudem ist das das Paradigma von FDP, CDU/CSU und SPD. Im Rahmen dieses Paradigmas ist aber auch in einer Koalition mit diesen Parteien für uns Grüne kaum ein Stich zu machen, weil es ihnen dann nämlich kein Zugehen auf uns sondern eines auf sie abnötigt. Und so Abkommen wie TTIP, TISA und CETA sind die logische Konsequenz aus der Idee, dass unsere Volkswirschaft Marktwirtschaften sein sollen. Das bedeutet nicht, dass marktwirtschaftliche Ideen per se negativ zu betrachten sind. Der Begriff "Marktwirtschaft" gehört aber zum Propagandavokabular des Neoliberalismus. Indem wir ihn also verwenden, schaden wir nur unseren politischen Zielen. Denn mit Bedeutung füllen ihn andere.