Grün.Links.Denken

Eigenständigkeit heißt nicht schwarz-grün

Wahlnachlese Sachsen, Thüringen und Brandenburg

Vorab die gute Nachricht: Wir sind eine gesamtdeutsche Partei, selbst wenn der Teppich nicht gerade fliegt. Um nichts Geringeres ging es für Bündnis/Die Grünen bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Wer seit 2011 glaubte, grüne Fraktionen in allen 16 Länderparlamenten seien eine Selbstverständlichkeit, dürfte sich in den vergangenen Wochen korrigiert haben. Auch 25 Jahre nach der Gründung von Neuem Forum und Demokratie Jetzt müssen wir Bündnisgrüne alles geben, um in den drei fraglichen Ländern die Fünf-Prozent-Hürde zu nehmen. Wir freuen uns über den Wiedereinzug unserer Parteifreund*innen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sehr. Er ist hochverdient. Wir dürfen uns und der Gesamtpartei aber nicht die Debatte darüber ersparen, warum wir gemeinsam darum bis zur ersten Hochrechnung zittern mussten. Und warum wir in absoluten Zahlen so viele Stimmen verloren haben. Diese Fragen zu beantworten wird Zeit brauchen, aber soviel ist sicher: Wenn wir unsere strukturelle Schwäche in den neuen Bundesländern überwinden wollen, braucht es die Solidarität und Unterstützung der ganzen Partei. 

Kein Grund sich zu bedanken

Jeder Wahlkämpfende weiß: Landtagswahlen werden vor Ort gewonnen oder verloren. Die drei betroffenen Landesverbände haben allerdings auch keinen Grund sich bei ihren Parteifreund*innen im Rest des Landes zu bedanken. In Umfragen liegen die Grünen seit der Bundestagswahl halbwegs stabil, aber für den berühmten Rückenwind reicht es noch nicht. Wenig hilfreich waren auch einige innerparteiliche Kontroversen der letzten Wochen und Monate, sei es ums Ehegattensplitting, den Ukraine-Konflikt oder über Waffenlieferungen in den Irak. Noch dazu so unnötig: Man hätte zum Beispiel seinem Gewissen folgen und anderen Meinungen dennoch mit Respekt und ohne Yogamatte begegnen können. 

 

Eine Belastung waren insbesondere die lähmenden Debatten über die strategische Ausrichtung der Grünen nach der Bundestagswahl. Zumal die Frage der Machtoption in allen drei Ländern ihre spezifischen Tücken hatte: Mit Schwarz-Grün in Sachsen und R2G in Thüringen waren, laut Umfragen, reale aber auch reichlich umstrittene Regierungsmehrheiten möglich. In Brandenburg drohte wiederum das Fehlen einer echten Machtoption zur Belastung zu werden. Da ist es nicht förderlich, wenn sich zeitgleich die Parteifreund*innen in bunter Farbenlehre ergehen. Noch undankbarer ist es für die Betroffenen wenn ein grüner Ministerpräsident die Autonomie der Landesverbände anführt, aber im selben Atemzug öffentlichkeitswirksam darüber doziert, warum die sächsische Farbkombination toll und die in Thüringen ganz doof ist. Das ist schlechter Stil im Umgang miteinander, hat uns politisch geschadet und geht deshalb so gar nicht. 

 

Sachsen: auf die schwarze Witwe reduziert

Mit 5,7 Prozent war das Ergebnis der sächsischen Grünen nach eigenem Bekunden eine herbe Enttäuschung. Mit Blick auf die absoluten Zahlen ist das verständlich: wir haben 21.000 Stimmen im Vergleich zu 2009 verloren. Die schwarz-grüne Option war vor der Wahl kontrovers und bleibt es auch danach. Die Berechnung der Wählerwanderungen ist methodisch mindestens umstritten, das wissen wir alle. Aber in Sachsen sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: Fakt ist der grüne Aderlass von 13.000 Stimmen innerhalb des linken Lagers, dem nur 4.000 zusätzliche Stimmen aus dem bürgerlichen Lager entgegenstehen. Fakt ist auch, dass eine schwarz-grüne Regierung in Umfragen vor der Landtagswahl genauso unbeliebt war, wie die Fortsetzung von Schwarz-Gelb und damit sogar unbeliebter als eine CDU-Alleinherrschaft. Schlechtere Werte erzielte nur ein mögliches Regierungsbündnis aus CDU und AfD. Umso kontraproduktiver war es, dass öffentlich der Eindruck entstanden ist, manche Grünen hätten sich bereits vor der Wahl auf die Rolle des christdemokratischen Anhängsels festgelegt. Diese Wahrnehmung hat nicht nur grüne Stammwähler*innen zutiefst verunsichert, wie die hohen Verluste in den urbanen Hochburgen zeigen, wir waren auch für Wechselwähler*innen, die gegen die Politik der Regierung Tillich stimmen wollten, keine echte Alternative. Ein Funktionsargument zu haben ist gut, aber es kann in grünen Wahlkämpfen zu einer Belastung werden, wenn wir uns dabei reduzieren lassen auf eine Scharnierpartei, mit der sich die schwarze Witwe über das politische Ableben der FDP hinwegtröstet. Gerade im Osten wird die Forderung nach einem Politikwechsel dann doch mit einem Regierungswechsel verbunden. Sachsen zeigt: Eigenständigkeit heißt eben nicht schwarz-grün. 

 

Thüringen: da war mehr drin

Dass die Grünen am Vortag der thüringischen Landtagswahlen, sowohl der Bundeskanzlerin (machen die R2G?), als auch der Vorsitzenden der Partei Die Linke (reicht es für R2G?) sorgenvolle Statements wert waren, zeigt: diese Wahl war auch ein bundespolitisches Ereignis. Im besten Fall hätten sich die Grünen das Duell zwischen der Ministerpräsidentin und ihrem linken Herausforderer zum eigenen Vorteil machen können. Am Ende standen aber auch hier knapp 10.000 Stimmen weniger auf der Haben-Seite als bei der letzten Landtagswahl. Spätestens mit dem Umfrage-Aufstieg der AfD war absehbar, dass es für Schwarz-Grün nicht reichen würde. Gleichzeitig befand sich die SPD in einem strategischen Dilemma. In Thüringen positionierte sie sich zwischen den Lagern – und verlor am Ende Stimmen an beide. Tendenziell galt: Wer eine Fortsetzung der Großen Koalition wollte, hat CDU gewählt. Wer einen Politikwechsel wollte, hat die Linke gewählt. 

 

Die Grünen in Thüringen haben auf den Wechsel gesetzt, aber ebenfalls versucht sich beide Optionen offen zu halten und Äquidistanz zu wahren. Für manche Wähler*innen blieb der grüne Wille zu einem politischen Neuanfang im CDU-Traditionsland Thüringen deshalb etwas unscharf. Erst im Schlussspurt, so die Wahrnehmung von Außen, wurde die Ablösung der Skandalregierung Lieberknecht als primäres Wahlziel betont. Die Zahlen zur Wähler*innenwanderung lassen daran zweifeln, ob sich für die Grünen der anfängliche Äquidistanz-Kurs in der spezifischen thüringischen Situation ausgezahlt hat. Denn die Verluste gehen maßgeblich auf die Abwanderung zugunsten der Partei Die Linke, in das Lager der Nichtwähler*innen und an Kleinstparteien zurück. Ein Austausch mit CDU und FDP ist hingegen kaum messbar. Das legt nahe, dass die alte These, R2G sei einem relevanten Teil der grünen Stammwähler*innen nicht vermittelbar, zumindest für Thüringen nicht zutrifft. Dieses Landtagswahl zeigt vielmehr: Wer zwischen den Lagern steht läuft Gefahr zerrieben werden. 

 

Brandenburg: das Beste draus gemacht 

Die Brandenburger Grünen mussten am meisten zittern. 2009 konnten sie trotz bundesweitem Stimmungshoch nur 5,7 Prozent erreichen. Verluste wie in Sachsen hätten für sie das Aus bedeutet. Und wie schon 2009 war auch dieses Mal absehbar, dass Brandenburgs Grüne bei der zukünftigen Regierungsbildung keine Rolle spielen würden. In dieser Situation war es klug, sich über grüne Alleinstellungsmerkmale und in klarer Abgrenzung von Brandenburgs rot-rot-schwarzen Staatsparteien zu profilieren. Mit dem Kohleausstieg und dem Kampf gegen die Massentierhaltung hat der grüne Landesverband zugleich zwei Emotions-Themen nach vorne gestellt. Auch die Brandenburger Grünen haben 19.000 Stimmen verloren, konnten aber – als einzige – prozentual leicht zulegen. Ausschlaggebend waren die vergleichsweise starken Ergebnisse in den urbanen Hochburgen und dem Berliner Speckgürtel. Sie lassen hoffen, dass hier ein langfristiger struktureller Wandel zugunsten von Grün stattfindet. Bemerkenswert ist, dass zumindest die grünen Wähler*innen in Brandenburg nicht dem – auch von einigen Grünen gepflegten –  Mantra anhängen, Opposition sei Mist. Offenbar kann nicht nur eine potentielle Regierungsbeteiligung, sondern auch der Wunsch nach möglichst starken oppositionellen Grünen ein Funktionsargument sein. Hinzu kam eine geschlossene Partei, die deshalb in der Lage war eindeutige Botschaften an die Wähler*innen zu formulieren. Und eine ausgesprochen gute Performance in fünf Jahren parlamentarischer Opposition, etwa beim BER-Desaster. Die grünen 6,2 Prozent am Wahlabend zeigen: die Brandenburger Grünen haben trotz schwieriger Ausgangsbedingungen das Beste draus gemacht.  

 

Das Letzte: die AfD   

Natürlich lassen sich aus den drei Landtagswahlen noch eine ganze Reihe weiterer Schlüsse ziehen. Um einige der Gemeinsamkeiten zu benennen: Die katastrophale Wahlbeteiligung darf nicht (wie so oft) lautstark beklagt aber alsbald wieder verdrängt werden, sondern bedeutet für alle demokratischen Kräfte einen Auftrag für die Zukunft. In allen drei Ländern hat der jeweils kleinere Regierungspartner dramatische Verluste hinnehmen müssen. Die FDP hat ihre schlechte Prognose noch unterboten und ist bundesweit an keiner einzigen Landesregierung mehr beteiligt. Überall hat die größere Regierungspartei im Wahlkampf auf Entpolitisierung und eine Demobilisierung ihrer Konkurrenz gesetzt. Und: die eigentliche Siegerin der Wahlen heißt AfD. Um sie soll es hier zuletzt gehen. 

 

Das Abschneiden der AfD ist für uns Grüne auch deshalb bitter, weil wir als einzige Partei offensiv die Auseinandersetzung mit dieser schillernden Truppe aus Rechtspopulisten, Ultrakonservativen, extremen Rechten, Protestwähler*innen und D-Mark-Chauvinisten gesucht haben. Es besteht die reale Gefahr, dass die AfD im Gewande einer nationalliberalen FDP-Nachfolgepartei die politische Landschaft der Bundesrepublik noch weiter nach rechts verschiebt. Nicht nur der FDP, sondern auch der Union und der Partei Die Linke hat die AfD das Fürchten gelehrt. Beide Parteien haben mit Abstand am meisten Wähler*innen an sie verloren. Insbesondere innerhalb der CDU ist die Verunsicherung darüber mit Händen zu greifen. Das Hin- und Her ihrer Funktionärsriege in der Frage der Koalitions- oder zumindest Gesprächsfähigkeit der AfD ist nur der Ausdruck eines grundsätzlichen strategischen Dilemmas, das durchaus vergleichbar ist mit dem der SPD im Umgang mit der PDS und Linkspartei. Die christdemokratische Gretchenfrage AfD ist aber auch für uns Grüne nicht ungefährlich. Denn uns stehen neue Debatten über den Umgang mit einer Union an, wenn die sich verbal, programmatisch oder sogar koalitionsoptional in Richtung der AfD öffnet. Was das für grüne Optionen bedeutet, muss noch diskutiert werden. Ginge es nach uns, ist die Antwort klar: Eine Union, die keine klare Abgrenzung zur AfD vornimmt, kann für uns Grüne keine politische Partnerin sein. 

2 Kommentare

  1. Lieber Daniel, lieber Stefan,

    eure Wahlanalyse würde ich doch etwas ergänzen bzw. anders akzentuiieren wollen:

    (1.) Die Aussage "Landtagswahlen werden vor Ort gewonnen oder verloren." trifft so nicht zu. So wären die Wahlergebnisse in BaWü und Rh-Pf. ohne den Fukushimaeffekt nicht vorstellbar gewesen. Nach Abklingen dieses Effektes waren alle bundesweiten und Landeswahlergebnisse seit Frühjahr 2013 schlechter als 2009, mit Ausnahme von Brandenburg.

    (2.) In Sachsen gab es zum Zeitpunkt der Diskussionen im Landesverband über das Wahlprogramm etc. aufgrund der Wahlumfragen folgende politarithmetisch denkbare Konstellationen: Fortsetzung CDU-FDP; Neuauflage CDU-SPD; CDU-Grüne; Linke-SPD-Grüne. Schwarz-gelb und r2g waren aufgrund der Schwäche der vertretenen Parteien eher unwahscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.

    Der Landesverband hatte im Vorfeld eine intensivere Diskussion über r2g, wobei es für einen Teil derer, die ihre politischen Wurzeln in der Bürgerbewegung haben, bis heute schwer vorstellbar ist, mit der SED-Nachfolgepartei gemeinsame Sache zu machen, während für diese oft auch kirchlich geprägten Mitglieder die mentale Hürde wesentlich niedriger ist als bei einer Zusammenarbeit mit denen, die aus dem Neuen Forum in die CDU gegangen sind.

    Ergebnis dieser Debatte war das Bekenntnis zu einem eigenständigen Kurs, der nicht schwarz-grün ausschließt, aber als Option neben rot-rot-grün und einer Oppositionsrolle stehen blieb.

    Johannes Lichdi aus Dresden, bekanntester Linker der alten LT-Fraktion, hat diesen LDK-Beschluss als Bekenntnis zu Schwarz-grün denunziert und ist nicht wieder angetreten. Entsprechend sind auch die grünen Verluste besonders hoch in Dresden, wo Lichdi diese Debatte geführt hat. In der anderen grünen Hochburg Leipzig sind die Verluste demgegenüber nicht größer als im Landesdurchschnitt. Bei uns in der Provinz wurde diese Debatte gar nicht geführt.

    (3.) In Brandenburg gab es keine realistisch denkbare Regierungskonstellation unter Beteiligung der Grünen. Insofern musste auch kein Wähler Angst haben, dass seine Stimme für die Grünen indirekt die Schwarzen oder die SED-Nachfolger nützen könnte.

    Gleichzeitig spielte mit der Braunkohle ein ökologisches – also wahltaktisch gesehen grünes – Thema eine deutlich größere Rolle als in Sachsen und Thüringen, also ein dankbares Thema für Oppositionspolitik. Zudem kommt noch der von Daniel und Stefan benannte weitere Zuzug von Großstadt-Berlin-Grünen in den Brandenburger Speckgürtel.

    In Sachsen ist es dagegen nicht gelungen, zentrale grüne Themen wie Braunkohle, Massentierhaltung oder die Folgen des Klimawandels (inzwischen fast regelmäßige regionale und lokale Unwetterkatastrophen) zu visualisieren, was vor einem Jahr beim BT-Wahlkampf auch nicht richtig funktioniert hat. In Niedersachsen ist das vor anderthalb Jahren wesentlich besser gelungen, in Brandenburg vielleicht auch(?).

    (4.) In Thüringen hätte es übrigens fast noch eine ganz besondere Konstellation gegeben: Hätte die SPD noch einen Sitz mehr verloren, hätte weder CDU-SPD noch r2g eine Mehrheit im Landtag gehabt. Da gegenwärtig niemand mit der AfD und künftig jedenfalls SPD und Grüne nicht mit der AfD koalieren wird und die CDU nicht mit der Linken, bliebe dann allein CDU-SPD-Grüne als reale Option übrig …

    (5.) Ich bin als Linker vor knapp 35 Jahren in die "Sonstige politische Vereinigung 'Die Grünen'" eingetreten bin, aus der dann kurze Zeit später die grüne Partei wurde. Meine Wahrnehmung war, dass die Lösung zentraler Überlebensfragen wie der ökologischen und der atomaren Kriegsbedrohung nicht warten konnte bis zu der von mir erhofften radikalen gesellschaftlichen Veränderung. Deshalb bin ich Mitglied der Grünen geworden zusammen mit Menschen ganz anderen politischen Hintergrundes: Ex-Maoisten, konservative Naturschützer, ehem. Jung- und Sozial- und auch Christdemokraten.

    Seit dem ist vieles passiert, aber die Grundfrage für grüne (Regierungs-)Politik ist für mich nach wie vor, ob wir in den Überlebensfragen substantielle Fortschritte bewirken können oder nicht. Daran würde ich auch jede potentielle Regierungsmitarbeit messen. Und das notfalls auch mit einerCDU/CSU (deren rechter Flügel ja auch kaum weniger rechts ist als Luckes AfD …).

    Horst Schiermeyer, Zittau, Sachsen

  2. Lieber Horst,

    danke fuer Deine Erlaeuterungen, die ich als hilfreiche Korrekturen verstanden habe. Analytische Texte bei denen man von Anfang den Eindruck hat, dass das Ergebnis schon vor der Analyse feststeht, haben eine bitteren Nachgeschmack. Wenn ich die Ergebnisse richtig im Kopf habe (bin gerade verreist), dann war die Wahlbeteiligung in den drei Laendern geringer , d.h. doch weniger absolute Stimmen, auch fuer die Gruenen.
    Mit herzlichen Gruessen
    Dirk Jordan, Berlin