Grün.Links.Denken

Das Ende des Merkel-Europa

Klar ist: Die Bundestagswahl ist richtungsentscheidend für die Zukunft der EU. Die jetzige Bundesregierung tritt in Brüssel immer dann auf die Bremse, wenn es darum geht, Europa ökologischer, gerechter und zukunftsfähiger zu machen. Ein Haushalt, der bei weitem nicht ausreicht, um die an die EU übertragenen Aufgaben auszuführen und der eine Schlagseite hat in Richtung Beton, Dünger und Atom. Eine Weigerung, die Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen. Blockade bei Senkung der CO2 Grenzwerte für Autos. Verhinderung einer Reform der gemeinsamen Agrarpolitik, in der Subventionen nur noch für die Erbringung gesellschaftlicher Leistungen ausgezahlt würden statt sinnloser Flächensubventionen. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Der Entwurf des Wahlprogramms legt positiver Weise viele solcher schwarz-gelben Aktionen offen und macht sehr deutlich, dass es mit uns Grünen in der Bundesregierung eine andere Politik auch in Europa geben wird.  Eine Politik, die strengere Klimaziele und die europäische Energiewende vorantreibt. Eine Politik, die mehr Mitspracherecht für das Europaparlament will und Bürgerinnen und Bürgern eine Stimme gibt und eine Politik, die nicht nur an kleinen Stellschrauben dreht sondern Steuerflucht und Steuerdumping europaweit eindämmen will. Eine Politik, die nicht an Parlament und Öffentlichkeit vorbei in nächtlichen Gipfeln ausgehandelt sondern von den Menschen diskutiert wird. Ein Mehr an Europa für die großen Zukunftsaufgaben und Herausforderungen, die nicht an den  Grenzen halt machen.

Das große und wichtige Thema der Krise in Europa wird statt im Europakapitel im Wirtschaftsteil behandelt und das ist auch gut so – wir als BAG hatten immer ein Europa-Mainstreaming im Programm gefordert. Wir wollen der Krise eine Reihe von Vorschlägen entgegen setzen, die bereits in den letzten Jahren auf mehreren Bundesdelegiertenkonferenzen ausdiskutiert und beschlossen wurden. Wir wollen die soziale Spaltung in Europa nicht hinnehmen – das muss meiner Meinung nach eine unserer Hauptaussagen sein. Das Programm fordert eine effektivere Regulierung des Finanzsektors inklusive einer europäischen Bankenunion, welche die Kluft zwischen der Freizügigkeit des Kapitalverkehrs in der EU und der nationalstaatlichen Kontrollkompetenz von Banken schließen soll. Außerdem schlagen wir richtigerweise einen europäischen Steuerpakt gegen Steuerdumping und Steuerflucht und eine stärkere politische Steuerung der Wirtschafts- und Finanzpolitik auf europäischer Ebene vor.

Hier fehlen leider konkrete Vorschläge, WIE wir zu dieser politischen Wirtschaftsunion kommen wollen. Außer eineM/R Wirtschafts- und WährungskommissarIn, die/der mit mehr Kompetenzen ausgestattet werden soll, fällt uns nicht viel ein. Ich würde sagen, wir drücken und um die Fragen herum, was es bedeuten würde, wenn die EU-Ebene wirkliche Mitspracherechte über nationale Haushalte hätte und wie hier die Kompetenzen zwischen Europaparlament und nationalen Parlamenten aufteilen wollen.

Genauso mangelt es an einem klaren Bekenntnis zu wirklicher Solidarität, nämlich der Vergemeinschaftung von Schulden in Europa. Zwar schlägt das Programm die Einrichtung eines Schuldentilgungsfonds vor, der die Altschulden von Eurostaaten bis zu einem bestimmten Volumen für eine gewisse Zeit vergemeinschaftet, mit dem Ziel geringerer Zinsen bei der Kreditaufnahme. Allerdings ist das Bekenntnis zu „wirklichen“ Eurobonds nach dem ersten Feedbackdurchlauf aus dem Entwurf rausgeflogen. Bei dem Thema unterscheiden wir uns sehr deutlich von schwarz-gelb. Aber natürlich ist diese Idee in Deutschland nicht allzu beliebt. Ducken wir uns hier etwa weg?

Ein zentraler Punkt fehlt mir in der Analyse der „Eurokrise“. Man mag denken, dass Analysen in einem Wahlprogramm ohnehin nichts zu suchen haben, schließlich verlangen die Leute Antworten. Gerade aber bei der Krise in Europa ist es unglaublich wichtig, die Hegemonie des Merkelschen Krisendiskurs in Deutschland zu brechen, denn nur so können wir die Leute mitnehmen und zu einer anderen Politik bewegen. Wer davon redet, dass die „Südländer" über ihre Stränge konsumiert haben und dabei vergisst, wie diese Entwicklung jahrelang deutschen Banken – von der Politik unterstützt- genutzt hat, wird auch den Krisenländern die Hauptverantwortung bei der Bewältigung ihrer Probleme aufladen. Wir in Deutschland haben aber genauso eine Verantwortung  zur Beseitigung dieser Ungleichgewichte. Wer nur von „maroden politischen Systemen“ in den Krisenländern spricht, der vergisst, dass viele Teile des Systems faul sind, aufgebaut auf einer riesigen Vermögensungleichverteilung und auf einem aufgeblähten Finanzsektor in allen europäischen Staaten. Und genau hier müssen wir Grünen sagen: Die Lehren aus der Krise muss auch die sozial-ökologische Umgestaltung des Wirtschafts- und Finanzsystems sein.

Alles in allem: Das Programm versucht sich in dem schwierigen Spagat zwischen einem klaren Bekenntnis zu Europa und einer Vision eines anderen, grüneren Europas.  Meiner Meinung macht es das ganz ordentlich.

Ein Kommentar

  1. Dazu lesenswert auch JPAs Beitrag zu Ungarn:

    Schluss mit der Doppelmoral in der EU

    Gastbeitrag von Jan Philipp Albrecht vom 13. März 2013 im Tagesspiegel

    Erstellt am 14.03.2013

    Ungarn mahnt Europa: Wer sich nicht einmischt, macht sich mitschuldig. Doch im Rat der Europäischen Union lässt man sich gegenseitig gewähren, schreibt der innen- und justizpolitische Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament.

    Seit Beginn der Verfassungsreformen in Ungarn vor knapp zwei Jahren gab es zahlreiche Ermahnungen an die Regierung Orban. Was ist geblieben? Nichts. Selbst die von einer knappen linksliberalen Mehrheit im Europäischen Parlament eingeforderte Überprüfung der Verfassungsentwürfe seitens der Europäischen Kommission verläuft im Sande.

    Eine echte Sanktionierung Ungarns für einen Verstoß gegen die Grundwerte der EU im Rahmen des Artikels 7 des EU-Vertrages wurde seitens der Europäischen Volkspartei, der sowohl die CDU und CSU als auch Orbans Partei Fidesz angehören, nach dem Motto „eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus“ aufgehalten.

    Es blieb der Kommission nur der Weg über begrenzte Vertragsverletzungsverfahren, die vor dem Europäischen Gerichtshof häufig Jahre dauern und nicht selten von neuer Gesetzgebung oder den Realitäten überholt werden.

    Obwohl der ungarische Regierungschef Viktor Orban vor dem Europäischen Parlament versprochen hatte, dass er sich den Nachbesserungswünschen der EU fügen würde, tut er nun nichts anderes, als seine weitgehenden Verfassungsreformen einfach durchzuziehen. Die Änderungen des vierten Kapitels ähneln den Strukturen totalitärer Staaten. Die Unabhängigkeit der Justiz wird eingeschränkt, der Überprüfungsspielraum des Verfassungsgerichts auf reine Verfahrensfragen begrenzt. Unliebsame Richter werden in den Zwangsruhestand versetzt, politische Minderheiten und kritische Medien im Grunde mundtot gemacht. Die Strategie Orbans geht auf: Sollte es dennoch irgendwann ein Vertragsverletzungsverfahren geben, haben die Änderungen in Ungarn längst ihre Wirkung gezeigt. Kein unliebsamer Verfassungsrichter wird dann zurückgeholt, kein zum Staatsdiener gemachter Datenschutzbeauftragter wieder unabhängig sein.

    Doch im Grunde verhält sich Orban nicht anders, als es ihm die Staats- und Regierungschefs der EU über Jahre vorgemacht haben. Auch Merkel & Co betreiben eine Politik, die die gemeinsamen Entscheidungen auf EU-Ebene missachtet. Eine große Anzahl an Vertragsverletzungsverfahren wegen nicht umgesetzter EU-Regeln vor dem Europäischen Gerichtshof laufen gegen die Bundesregierung. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation „Justice in Europe“ verstoßen alle(!) Mitgliedstaaten der EU gegen zahlreiche grundlegende Bestimmungen der Straßburger Menschenrechtskonvention des Europarates.

    Doch im Rat der Europäischen Union herrschen das Gebot der Diplomatie und ein geheimer Konsens: In die Angelegenheiten eines Staates wird nicht eingegriffen. Und zwar ganz gleich, ob es konservative oder sozialdemokratische Machthaber sind – die Durchsetzung von Grundrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit liegt in der Hand der jeweiligen Regierung. Die Rufe nach gemeinsamen Werten, wie sie jetzt wieder nach Ungarn und zuvor nach Rumänien gerichtet waren, verhallen in einem gewollten Vakuum. Man verbittet sich die Einmischung.

    Angela Merkel verteidigt eine gefährliche Doppelmoral, wenn sie jetzt nicht den Schritt zu einer ausnahmslosen Unterwerfung aller Mitgliedstaaten unter eine vereinfachte Kontrolle und Sanktionierung durch das Europäische Parlament und den Europäischen Gerichtshof geht. Dieser Schritt ist in einer Wertegemeinschaft, wie die EU sie ist, überfällig.

    Der Autor ist innen- und justizpolitischer Sprecher der Grünen im Europäischen Parlament.