Grün.Links.Denken

Das Eigentor

Die finanzpolitischen Beschlüsse der #BDK13 zum Wahlprogramm verankern nachhaltige Finanzpolitik mit den Grundprinzipien: Solidität, Investitionsfreundlichkeit, Umverteilung, Schuldenabbau. Eine Unterdeckung wie beim Wahlprogramm 2009 ist unsolide Vergangenheit. Versprochen wird nur, was gegenfinanziert ist. Öffentliche Investitionen in Bildung, Gesundheit und Klimaschutz wollen wir erhöhen und notleidende Kommunen durch Entlastung von Sozialkosten wieder Raum zum Investieren geben. Die Rahmenbedingungen für private Investitionen in Zukunftsindustrien wie in Forschung und Entwicklung stärken. Hohe leistungslose Einkommen werden durch höhere Erbschaftssteuer, Bürgerversicherung, das Ende der Abgeltungssteuer, Kampf gegen Steueroasen und den höheren Spitzensteuersatz deutlich stärker belastet. Dagegen entlasten wir Einkommen bis 60.000 € (Alleinstehender) und schützen betriebliche Einkünfte, solange sie im Unternehmen verbleiben. Mit der Vermögensabgabe können wir nicht nur die früher parteiintern umstrittene Schuldenbremse einhalten, sondern sogar den Berg der Staatsschulden absolut vermindern. Betriebsvermögen wird dabei weitgehend geschont und Substanzbesteuerung ausgeschlossen.  Nach Auslaufen der Vermögensabgabe zum Schuldenabbau soll nun eine Vermögenssteuer folgen.

Die Feder geführt haben bei diesem Programm die mehrheitlich linken FinanzpolitikerInnen in Bundestag und Europaparlament, gestützt auf viele kritische ÖkonomInnen in der BAG Wirtschaft-Finanzen und die harten finanzpolitischen Realitäten der Landes- und Kommunalhaushalte. Die knappen Kassen bei hohem Investitionsstau haben auch die Grünen Fraktionsvorsitzenden in den Ländern, die beiden Grünen Landesfinanzministerinnen und Kommunalos/as auf die Seite des neuen Konsenses Grüner Finanzpolitik geführt.

Die Anhäufung von Schulden weder nachhaltig noch gerecht. Finanzpolitisch ungedeckte Versprechungen sind letztlich undemokratische Wählertäuschung. Beides entspricht alten Forderungen von vielen RealpolitikerInnen. Hier enthält der neue finanzpolitische Konsens das gute Erbe von Realos wie Oswald Metzger, Christine Scheel & co. Besteuerung von Vermögen, Erbschaften und Kapitaleinkommen sowie eine stärkere Progression der Einkommenssteuer entspricht dagegen dem vor allem von Linken in der Partei und in der Gesellschaft insgesamt geforderten mehr an Gleichheit. Hier hat sich die Grüne Abkehr von der Steuerpolitik von Rot-Grün klar durchgesetzt. Wir entledigen uns damit dem schlechten Erbe der von einigen Realos dominierten Finanzpolitik in der Bundestagsfraktion während der Schröder-Eichel-Jahre.

Mit diesem guten neuen Konsens können Alle in der Partei zufrieden sein. Er ist ja auch Ergebnis jahrelanger konzeptioneller Arbeit in parteiinternen Kommissionen und Fraktionsvorsitzendenkonferenzen und mehrerer Parteitagsbeschlüsse. Die großen Mehrheiten, gegen alle Versuche den neuen Konsens in Frage zu stellen, zeigen die hohe Unterstützung in der Partei. Durch die öffentlichen Attacken ganz Weniger vor und während des Parteitags wurde der neue Grüne finanzpolitische Konsens nun aber zum Richtungsstatement. Obwohl steuerliche Belastungen und Entlastungen ausgewogen und investitionsfreundlich sind, erschien der Kompromiss in den Medien nun als umverteilende Steuererhöhungsorgie und Gefahr für mittelständische Unternehmen. Die Botschaft der Solidität, der Investitionsfreundlichkeit und des Schuldenabbaus gerieten völlig aus dem öffentlichen Blickfeld. Die scharfen öffentlichen Statements haben jedoch dafür gesorgt, dass der neue Konsens breite Aufmerksamkeit bekam. Nachhaltige Finanzpolitik ist nun noch mehr denn je Grünes Markenzeichen. Die Wende zu mehr Umverteilung und weg von unsolider und ungerechter Steuerpolitik unter Rot-Grün hat dank des über die Medien gespielten Streits jetzt jeder bemerkt.

Die Folgen dieser starken Wahrnehmung sind letztlich noch nicht abzusehen. Es ist aber zu befürchten, dass uns die PR-Aktion bei mittelständischen WählerInnen kurzfristig schadet, selbst bei solchen, die objektiv steuerlich geschont oder gar entlastet werden. Das Potential des neuen Konsenses zu Grüner Meinungsführerschaft in der Finanzpolitik ist damit freilich langfristig nicht beschädigt. Dabei wird auch der Segen in der Sache durch Winfried Kretschmann am Ende des Parteitags helfen. Zunächst aber empfiehlt der Spin in den Medien uns gegenüber bisherigen WählerInnen der Linken und stärkt auch die Wahrnehmung der sozial-demokratischen Elemente Grüner Politik. Die Grüne Partei verschiebt all das im Parteienspektrum nach links. Fazit: Realpolitisch ein klassisches Eigentor.

Autor: Sven Giegold

Sven Giegold ist Sprecher der Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen im Europaparlament. Er arbeitet im Ausschuss für Wirtschaft und Währung sowie im Verfassungsausschuss.

11 Kommentare

  1. Was ist das denn jetzt?

    Eine kurze Beschreibung was die Grünen da beschlossen haben, kann man machen. Aber warum muss man das sofort apokalyptisch mit einer "es kann uns kurzfristig schaden" Aussage verknüpfen. Hört mal auf, schon jetzt Ausreden zu suchen, warum möglicherweise das Wahlergebnis nicht zu ner Regierungsbeteiligung reicht… Macht doch erstmal Wahlkampf…

    Dieses ewige Mimimi geht doch auf den Senkel!

  2. "Mimimi"? James Harden? Wieso das denn? Verstehe ich nicht. Ist doch einfach nur eine legitime Schlussfolgerung Svens, dass das kurzfristig schaden kann. Bin völlig mit Sven einverstanden. Guter Text.

  3. Das stimmt nicht! Sie belasten durch Ihre Erhöhung der Krankenkassen-Bemessungsgrenze alle Menschen ab 48.000 Euro Erwerbseinkommen. Die Steuern und Abgaben können nicht voneinander getrennt werden. Beides steht den Bürgern nicht mehr frei zur Verfügung.

  4. Also, das ist vollkommen lächerlich, die öffentliche Resonanz auf die Äußerungen von Kretschmann & Co. zu schieben. Jeder wusste im Vorfeld, worum es geht und die BDK hat's in vollem Bewusstsein dessen beschlossen. Sowohl Journalisten als auch CDU/FDP können rechnen und brauchen dazu keinen Kretschmann. Oder glaubst Du, dieser Artikel wäre ohne Kretschmann nicht gekommen? http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/steuerkonzept-der-gruenen-trifft-mittelschicht-a-897074.html

    Insofern: die nächsten Wochen und die Bundestagswahl werden zeigen, wie sehr unsere Wähler zu individuellem Verzicht fürs Gemeinwesen bereit sind – und ob wir ergo sinnvolle Beschlüsse gefasst haben.

    Ich bin gespannt 🙂

  5. Sinnvolle Beschlüsse machen sich NUR an den WählerInnenzahlen fest???

  6. Dieses Wahlprogramm wird der FDP wieder aufs Fahrrad helfen. Wer diese selbstverliebten Damen und Herren Roth, Künast und Özdemir, Trittin wählt ist nun wirklich selber schuld. Man kann sicher in gewissem Maße Lasten auf größere Schultern verlagern, aber sollte auch selbst dazu bereit sein. Wenn man sieht, was die Damen und Herren sich selbst für Privilegien gestatten, dann muss man sich schon wundern. Und die Einnahmen eines Euro-Parlamentarier sind da ja noch besser, wahrscheinlich sind die Pensionsansprüche, die daraus resultieren noch verrückter als die normaler Parlamentarier. Es würde sich daher gut machen, wenn man mit gutem Beispiel voranginge. Das ist bei Polikern auch der Grünen aber nicht sehr beliebt. Das überlässt man lieber den sog. Reichen, wobei man dies schon sehr eigenwillig definiert. Also mehr als 9% solltet Ihr hierfür nicht bekommen.

  7. So what? Stefanolix? Denn die Sozialversicherungsbeiträge (Krankenkasse) können schon immer auch von der Steuer abgesetzt werden. Wo ist das Problem, wenn jetzt auch Menschen mit höherem Einkommen pflichtig sind und das aber auch absetzen können?
    Hier sind übrigens ein paar Beispiele zur grünen Steuerpolitik … Ist doch ok, die Mittelschicht wird weitestgehend entlastet, zusammen mit der Unterschicht. Betroffen sind gerade mal 5% Menschen, die Gehalt beziehen, und 7% Menschen, die eine Einkommenssteuer zahlen, also ganz offensichtlich auch nicht die zahlreichen Inhaberfamilien (und einzelnen Inhaber_innen) von KMU (kleinen und mittleren Unternehmen). Warum die Klagen, ohne genau hinzusehen? Hier kann man sich das mal anschauen.
    Und, Frank, natürlich kann man sinnvolle Politik nicht nur an Wählerstimmen festmachen, ganz sicher nicht, da stimme ich Dir sofort zu.
    http://www.gruene-bundestag.de/themen/steuern/steuererhoehungen-ja-aber-gerecht_ID_4388254.html
     

  8. @ Frank Brozowski: inhaltlich nein, faktisch ja. That's democracy: umgesetzt wird nicht, was richtig ist (oder man für richtig hält), sondern was die Mehrheit beschließt.

  9. Das Gerücht mit der vollständigen Absetzbarkeit der Beiträge hält sich schon lange, es stimmt aber überhaupt nicht.

    Die Vorsorgebeträge sind nur bis zu einer bestimmten Grenze absetzbar. Diese Grenze ist so niedrig, dass ein berufstätiges Ehepaar mit zwei mittleren Einkommen deutlich weniger als die Hälfte(!) seiner Beiträge absetzen kann. Bei einer Beitragserhöhung in dem von mir genannten Bereich kann folglich kein weiterer Cent mehr abgesetzt werden.

    Das Gerücht kommt daher, dass gesetzliche Krankenkassen eine Klausel Absetzbarkeit auf dem Beitragsbescheid abdrucken. Das ist aber allenfalls eine Halbwahrheit. Wie die Vorsorgepauschale wirklich berechnet wird, steht in der Wikipedia.

  10. Stefanolix: Die Belastungen für die Beitragszahlenden kommen aktuell von Schwarz-Gelb, die massiv bei den Sozialversicherungen kürzen und das dann Haushaltskonsolidierung nennen. Wenn die Rücklagen dort aufgebraucht sind, müssen die Beiträge steigen. Die Grünen kämpfen wenigstens mit offenem Visier und sagen, woher welches Geld kommen soll und was es dafür gibt.

  11. @Stefan Ich war nur erschrocken über die diesbezügliche Formulierung. Politik NUR daran auszurichten, was vermutlich die meisten WählerInnenstimmen bringt ist Populismus pur.

    Dann würde ja auch eine Einheitspartei ausreichen. Ich möchte Politik an Inhalten, Überzeugungen und Werten festmachen, dann versuchen, das zu vermitteln und letztendlich schauen, wie viele WählerInnen ich mitnehmen konnte bei den Überlegungen.