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Die Erhöhung der ALG-II-Regelsätze auf 420 Euro ist notwendig und machbar

Die Grüne Bundesdelegiertenkonferenz in Hannover in knapp zwei Wochen wird sich schwerpunktmäßig um das Thema Sozialpolitik drehen. Mit der Diskussion dort legen wir auch die Grundlage für das Wahlprogramm im kommenden Jahr. Schon jetzt zeichnen sich eine Reihe an Kontroversen ab. Eine der spannendsten: Die Höhe des Regelsatzes im Arbeitslosengeld II. So gut der Leitantrag an manchen Stellen auch ist, bei der Frage der Regelsätze bleibt er hinter dem zurück, was verfassungsmäßig geboten ist und was wir Grüne leisten sollten.

So wird in Anlehnung an die Projektgruppe Prioritäten der Bundestagsfraktion, in der die von Grüner Seite geplanten Einnahmen, Ausgaben und Einsparungen gegengerechnet wurden, vorgeschlagen, die ALG-II-Regelsätze nicht wie bisher beschlossen, auf 420 Euro, sondern vorerst nur auf 391 Euro anzuheben.

Natürlich kann man sagen, der Unterschied sei ja nicht groß, was bringen schon die 29 Euro mehr, außer noch höheren Sozialausgaben? Dabei lohnt es sich, die Sache genauer anzuschauen. Darum haben wir als GrünLinksDenken zusammen mit Markus Kurth einen Änderungsantrag zur BDK eingereicht und freuen uns über Unterstützung.

 

  1. Zuletzt hat das Berliner Sozialgericht im April 2012 festgestellt, dass die bisherigen Leistungen im Rahmen des SGB II zu niedrig sind, da sie das menschenwürdige Existenzminimum nicht gewährleisten. Konkret geht es dabei auch um die Frage der Berechnungsmethode, bei der eine Referenzgruppe herangezogen wird, bei der aber auch bestimmte Güter herausgerechnet werden, die ALG-II-EmpfängerInnen per se nicht zugestanden werden sollen. Das ist falsch und wir Grüne haben es zu Recht wiederholt kritisiert. Denn warum sollten ALG-II-EmpfängerInnen im Gegensatz zu allen anderen Menschen kein Recht auf bestimmte Verkehrsdienstleistungen, Speisen und Getränke in Cafés oder Imbissen, alkoholische Getränke, Schnittblumen oder Pflanzen haben? Wir Grüne wollen, dass die Grundsicherung den Menschen ein Leben in Würde und die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen ermöglicht. Dazu ist es unabdingbar, dass die Regelsätze endlich korrekt berechnet werden, statt sie politisch motiviert klein zu halten. Wir müssen deutlich machen: Die Würde des Menschen ist mit uns nicht verhandelbar. Wenn Menschen keine Chance mehr haben, am soziokulturellen Leben teilzuhaben, dann widerspricht das nicht nur unseren politischen Überzeugungen, sondern auch den Grundrechten und der Verfassung. Wir Grüne haben die Pflicht und die Schuldigkeit, das zu ändern.

 

  1. Gerade in der Sozialpolitik haben wir Grüne einiges gut zu machen. So richtig Teile der Agenda-Reformen waren, wir haben während der rot-grünen Regierungszeit eine Reihe von Fehlern gemacht und unsoziale Politik mitgetragen. Wir alle wissen: Glaubwürdigkeit ist unser höchstes Gut. Insbesondere in der Sozialpolitik haben wir eine Menge Glaubwürdigkeit wiedergutzumachen. Die 420 € standen bereits in unserem letzten Bundestagswahlprogramm. Sie sind ein Zeichen, dass wir aus unseren sozialpolitischen Fehlern gelernt haben. Wenn wir jetzt sogar hinter das zurückfallen, was wir sozialpolitisch in den letzten Jahren (zu recht!) gefordert haben, es wäre ein Armutszeugnis für unsere Glaubwürdigkeit. Die 420 Euro entsprechen ziemlich genau dem Betrag, bei dem man rauskommt, wenn man die oben genannten Kritikpunkte korrigiert. Darum sind die 420 Euro eine wichtige Zielmarke, die wir mit aller Vehemenz verteidigen sollten.

 

  1. Es gibt eine sinnvolle Gegenfinanzierung für die entstehenden Mehrausgaben, wenn man den Regelsatz verfassungsfest machen will: Es ist eine Frage der Gerechtigkeit, nicht nur das ALG-II auf ein verfassungskonformes Niveau anzuheben, sondern endlich auch das Lohndumping im unteren Einkommensbereich anzugehen. Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, also die angemessenere Bezahlung von Arbeit, führt dazu, dass Menschen, die zuvor in einer Aufstocker-Situation waren, weniger Bedarf an ergänzendem ALG II haben. Laut Berechnungen der Bundesregierung aus dem Jahr 2008 würde ein flächendeckender Mindestlohn von nur 7,50 Euro allein im Bereich der passiven Leistungen (ALG II) für Einsparungen in Höhe von bis zu 1,5 Mrd. Euro sorgen, da die Zahl der Aufstocker sich verringerte. Das ist noch konservativ gerechnet, denn heute müssen deutlich mehr Menschen ergänzende Leistungen beziehen. Daher ist davon auszugehen, dass die Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro die 1,3 Mrd. Euro Mehrkosten für die Erhöhung der ALG-II-Sätze auf 420 Euro ohne Weiteres ausgleicht.

 

Ich finde es sehr gut, dass wir Grüne keine Wünsch-dir-was-Veranstaltung vor der nächsten Bundestagswahl machen. Es wäre falsch, den WählerInnen das Blaue vom Himmel zu versprechen und danach überrascht festzustellen, dass all unsere Vorschläge weder gegenfinanziert noch umsetzbar sind. Die Projektgruppe Prioritäten hat einen, aber eben auch nur einen Vorschlag vorgelegt, wie wir Grüne prioritäre Projekte nach 2013 umsetzen können, ohne leere Versprechungen zu machen. Es muss möglich sein, diesen Vorschlag noch zu verändern und zu sagen: Wir wollen die Erhöhung der ALG-II-Regelsätze auf ein verfassungskonformes Niveau (also etwa 420 Euro), und zwar direkt nach dem Regierungswechsel und nicht erst in einer fernen Zukunft. Und: Auch diese Forderung ist kein Hirngespinst, sondern kann sogar innerhalb der bestehenden Sozialkosten bewerkstelligt werden. Die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns von 8,50 Euro schafft die entsprechenden Spielräume.

Wir sollten nicht hinter wichtige Korrekturen der rot-grünen Regierungszeit zurückfallen. Das würde nämlich auch noch zu dem Eindruck führen, als hätten wir in der Oppositionszeit Versprechungen gemacht, die wir gar nicht einhalten können. Dabei ist diese Erhöhung durchaus machbar – und leider nur ein allererster Schritt auf dem Weg zu wirklicher sozialer Gerechtigkeit.

2 Kommentare

  1. Liebe Gesine,
    ich las deinen Satz "…So gut der Leitantrag an manchen Stellen auch ist, bei der Frage der Regelsätze bleibt er hinter dem zurück, was verfassungsmäßig geboten ist und was wir Grüne leisten sollten" … und wollte das Lesen schon einstellen. Der SP-01, also der von dir hochgelobte Antrag ist nicht nur einfach, eben nicht gut, sondern er ist zur Gänze eine einzige Kampfansage an alle diejenigen, die zu einer kritischen Bestandsaufnahme rot-.grüner Sozialpolitik beigetragen haben, und ich wage die Wette, dass von den Leuten, etwa denen die seinerzeit den "Münsteraner Appell" gegen Hartz schriebe, bzw. unterzeichneten, keiner einbezogen war und schon gar nicht die Freunde des bedingungslosen Grundeinkommens. Dass du am Ende deines Beitrages, der sich in sorry, nicht gerade aufregender Weise damit befasst, den Unterschied von 391 zu 420 Euro wortreich zu beschreiben (einem Betrag der gerade mal reicht, eine kleine Runde Abgeordneter in kleinem Kreise an einem Abend zu speisen), um nicht zu sagen, zu übertreiben, gleich vorauseilend unterstellst, sie seien für eine "Wünsch-Dir Was" Veranstaltung (man muss solche Sätze einfach mal "umgedreht" lesen, um die Absicht zu erkennen), macht die Diskussion natürlich nicht fruchtbar.

    Im Kern geht das natürlich an der Sache vollständig vorbei. Der SP – 01 steht in der Tradition kujonierender Sozialpolitik. Selbstredend ist er für die Rente mit 67, für Menschen denen man zwar zugesteht, für einen nicht näher beschriebenen "ersten" Arbeitsmarkt nicht "geeignet" zu sein, sollen in einen "zweiten" Arbeitsmarkt gezwungen werden (da helfen auch die schönen Worte im "Orwell-Stil" nicht weiter, die von "Teilhabe" fabulieren und natürlich auch in dieser geschönten Form, nichts anderem als der protestantisch-sozialdemokratischen Arbeits"ethik" huldigen. Selbst die Kindergrundsicherung erhält in dem von dir gelobten Antrag einen schalen Beigeschmack, weil man diese als "gegen die Eltern" sich richtend lesen kann, denen "man" offensichtlich mißtraut. Zwar wird der Schmontes vom "Fördern" und "Fordern" an keiner Stelle namentlich benannt, ebenso wie man den in diesem Zusammenhang geprägten Begriff des "Kunden" (ein wirklich ganz besonderer Zynismus, wenn man die Anbieter-Kundenbeziehung kennt und ernst nimmt) nicht finden, aber er taucht in der Form auf, dass die Arbeitsagenturen angeblich für ihre Arbeit zu wenig Personal haben, dem obendrein die Qualifikation fehle. Das ist vollkommen unakzeptabel, zumal an einer Stelle des Antrages eingestanden wird, dass die Antragssteller/innen "entwürdigenden" Prozeduren unterworfen sind. Das ist derart realitätsfern, so dass mir fast die Worte fehlen. Es würde jetzt zu weit führen, die Realität dieses System Hartz aus der Sicht der Betroffenen zu schildern. Teileise schafft der SP – 01 immerhin eine zutreffende Zustandsbeschreibung. Ein Beitrag zur Lösung für die Betroffenen ist er nicht. Im Gegenteil er fordert das Bekannte und davon mehr. Einzig kann ich erkennen, dass dieser SP- 01 ein (weiterer) Beitrag ist, die Partei auf "Steinbrück-Kompatibilität" zu verpflichten, weil die Partei es versäumt hat und auch offensichtlich den nötigen Machtwillen vermissen läßt, eine andere Rolle im Mitte-Links Spektrum anzustreben, als den des wohlfeilen "Jakob" für die SPD, also den ewigen Juniorpartner zu geben.

    Meine dringende Empfehlung: Gar nicht erst versuchen, an diesem unsäglichen Machwerk rumzudoktern (Ä-Anträge), sondern ihn komplett zurückweisen, mit der Aufforderung einen neuen Entwurf vorzulegen (siehe den Vorschlag der Bildung einer entsprechenden Kommission). Peinlich das Teil. Ich jedenfalls werde als Delegierter mit NEIN Stimmen.

    Simon Lissner
    Mitglied des Kreisvorstand Limburg-Weilburg

  2. Liebe Gesine,

    mir fehlt in dem ganzen Bereich wie den die Teilhabe gesehen wird. Allein bei der Frage anch Sozialticketas stellt sich mir die Frage wie realistisch ist dies denn. Menschen mit geringeren Einkommen werden immer weiter aus den Ballungsräumen rausgedrängt. Somit läuft es immer wieder auf soziale Tarife bei diesen Sätzen raus. Die gibt es aber zumeist nicht. In Berlin kostet sdas Sozialticket ca. 30€ und muss aus dem Regelsatz bezahlt werden. Die Realität zeiigt, viele leisten sich das nicht und kommen so aus ihren Vierteln nicht raus. Ich denke so könnte ich weitermachen Punkt für Punkt.

    Das bringt eher wenig zumal ich dann swahrscheinlich in die Wünsch dir was Fraktion eingereiht werde. Die gantze Agenda Poliitzk muss auf den Prüfstand. Und genau wie wir wegkommen müssen vom Dauerwachstum der wirtschaft müssen wir von der arbeitsdogmatik weg und hin zu anderen Lösungen.

    Etwas neues wagen und nicht nur im bestehenden System heumdoktern täte gut. aber dann könnte es evtl. keine Postren geben siondern nur viel Arbeit.

     

    Freundliche Grüße

    Cathrin