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Die Causa Zetsche – war das wirklich nötig?

Die anstehende Bundesdelegiertenkonferenz in Münster hat ihren ersten Presseaufreger schon im Vorfeld generiert: Die Einladung von Daimler-Boss Dieter Zetsche als Gastredner. Eigentlich hätte man es sich ja schon denken können, denn die Distanz eines Teiles meiner Partei zu den großen Automobilkonzernen war in der Außenwahrnehmung ja spätestens mit dem frivolen TV-Joschka im Elektro-BMW aufgehoben. Was ist also von diesem neuen Kapitel zu halten?

Vielleicht sind Unaufmerksamkeit und eine schleichende Gewöhnung an die Nähe zur Wirtschaft die Gründe dafür, dass der Parteivorsitzende mit dieser Einladung zunächst im Bundesvorstand durchgekommen ist. Dafür hat die Parteiführung ein verdientes Echo aus der Mitte der Partei erhalten. Daraufhin wurde ein Kompromiss vorgeschlagen: Dieter Zetsche darf reden und wird anschließend mit dem geballten grünen Sachverstand konfrontiert (Klima-Expertin Regine Günther vom WWF, die Menschenrechtlerin und grüne MEP Barbara Lochbiehler, Jürgen Resch von der DUH plus wahrscheinlich viele Delegiertenfragen).

Verfahrene Situationen werden nun mal durch Kompromisse die keinem wirklich schmecken gelöst und nicht durch weiteres draufhauen. Deshalb finde ich: Anstatt über die Tagesordnung der BDK zu streiten, müssen wir uns fragen, wie es zu dieser Situation gekommen ist. Dabei geht es nicht nur um die richtige Einschätzung, wie die (jetzt aufmuckende) Basis tickt, sondern um wesentlich fundamentalere Fragen: Unser grünes Verhältnis zu solchen Großkonzernen.

Ich tue mich echt schwer, den Konzern Daimler nur als einen „Partner“ in der anstehenden Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft zu sehen. Klar, setzt man nun auch dort auf Elektromobilität und will eine halbe Milliarde in eine eigene Batterien-Fabrik stecken. Doch eine schnelle Googlesuche verrät, dass Daimler im vergangenen Jahrzehnt vor allem durch Ankündigungen auffiel. Was ist also davon zu halten, wenn Dieter Zetsche sagt, bis 2025 könnte ein Viertel der neuen Daimler-Autos elektrisch sein? Eine gesunde Skepsis würde uns Grünen gut stehen.

Partner müssen nicht deckungsgleiche Positionen haben, aber sie sollten nicht in Widerspruch zueinander agieren. Wir müssen nicht einmal über den Rüstungskonzern Daimler reden: Schon im Ökobereich ist die Frontstellung offensichtlich. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat nicht umsonst mehrere Klagen gegen Daimler wegen Verbraucher*innentäuschung eingereicht. Dabei ging ist nicht um Kinkerlitzchen, sondern um knallharten Betrug. Ist das ein Partner?

Zudem basiert das Hauptgeschäftsfeld von Daimler auf dem (stetig wachsenden) motorisierten Individualverkehr. Auch wenn wir Grüne das Auto nicht mehr grundsätzlich in Widerspruch zum Öffentlichen, Fuß- und Radverkehr stellen, so ist es der kulturelle Hang zur eigenen Karre doch eines der größten Hindernisse bei der anstehenden Verkehrswende. Daimlers Interessen sind hier grundverschieden von unseren, die wir auf einen Ausgleich der Verkehrsträger bedacht sind. Und auch die Alleinerziehende Mutti auf dem Dorf ohne Busanbindung wird sich keinen Daimler kaufen müssen, können oder wollen. Der Konzern von Dieter Zetsche setzt auf das Premiumsegment. Diese Karren nehmen in unseren Innenstädten viel Platz ein, fördern rücksichtsloses Fahren und sind eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer*innen. Wenn alle einen Daimler hätten – es wäre ganz schön voll! Schön, dass Daimler seine EQ-Serie in Bremen bauen will (da freut sich das nächste G-Land). Doch ist ein Elektro-SUV nicht eigentlich noch immer eher Teil des Problems als Teil der Lösung?

Manchmal sehe ich Daimler als das RWE der Autoindustrie. Too big too fail und natürlich mit angeschlossenem grünem Streichelzoo während das Dinosaurierbusiness weiter läuft. Beide haben keine Lust auf Transformation, werden aber von den Umständen und dem öffentlichen Druck dazu gedrängelt. Nun sind beide aber auch nicht ganz vergleichbar: Denn RWE hat nach Fukushima eingesehen hat, dass die Atomkraft hierzulande bald vorüber ist. Der Abgasskandal – welcher ebenfalls die tödliche Wahrheit einer ganzen Industrie offenlegte – hat keine ähnliche (erzwungene) Einsicht zutage gefördert. Natürlich brauchen große Schiffe länger zum Wenden. Doch dem Abgasskandal hätte zumindest eine scharfe Kursänderung folgen sollen.

Die grüne Forderung, dass ungefähr ab 2030 keine Autos mit Benzin-/Dieselantrieb mehr verkauft werden sollen, ist umwelt-, gesundheits- und klimapolitisch vollkommen richtig. Vielleicht sogar noch zu vorsichtig! Ich finde es daher verstörend, wenn diese Forderung von Dieter Zetsche als „extrem“ tituliert wird. Aber vielleicht braucht das individualmotorisierte Hirn einfach länger bei der Erkenntnis, was wirklich „extrem“ ist: Ungebremster Klimawandel auf der einen Seite oder ein – durchaus begründbares – Fahrverbot für dicke Dreckschleudern in unseren Innenstädten.

Ebenso finde ich das Politikverständnis Dieter Zetsches fragwürdig. Eine „Lösung technologisch vorzuschreiben, ist nicht Aufgabe des Gesetzgebers.“ Erstens setzen wir mit der 2030-Forderung einen politischen Rahmen und schreiben keine einzelnen Lösungen vor. Die unsichtbare Hand des Automarktes tut nichts gegen Klimachaos und Verkehrskollaps. Deshalb ist zweitens genau diese Rahmensetzung die Aufgabe der Politik.

Bedenklich finde auch ich den Präzedenzfall, nach Vandana Shiva oder Jutta Allmendinger nun den Chef eines gewinnorientierten Großkonzernes den Ehrenplatz der BDK zu geben. Aber gut, Sigmar Gabriel durfte ja auch schon reden. Doch das Geschmäckle sehe ich woanders: Welche Rolle hat der grün-schwarze Ministerpräsident gespielt, der sich „in dieser Umbruchsituation ganz eng mit der Automobilindustrie austauschen“ möchte? Sollten wir uns – unabhängig davon, wie tief man sich im Schoß des Bürgertums einkuscheln will – nicht einig sein, dass eine kritische Distanz zu Großkonzernen per se eine gute grüne Eigenschaft ist? Sonst verlieren wir – als letzte Partei in Deutschland – endgültig ein Merkmal, welches uns noch immer zugeschrieben wird: Glaubwürdigkeit.

Versteht mich nicht falsch, auch ich bin sehr für „mehr Dialog“. Aber eine Gastrede ist kein Dialog. (Genauso wenig wie mache Show-Diskussionen.) Und seien wir ehrlich, von einem Gastauftritt versprechen sich doch beide Seiten in der Regel etwas anderes als den Austausch von Argumenten: Daimler will sich ein grünes Label anheften (das ist ja auch schick, fair enough also) und der BuVo will zum Ausdruck bringen, dass wir „gar nicht so schlimm“, „technologie-freundlich“ usw. sind. Letzteres geschieht wohl aus einer Trotzreaktion auf die medialen Shitstürme rund um Veggie- oder Steuerdebatten. Damit soll die angebliche Radikalität der grünen 2030-Forderung chrom-silber glänzend überpinselt werden.

Diese gar nicht so radikale Forderung muss jetzt aber im Vordergrund stehen. Ich erwarte von Dieter Zetsche am Wochenende eine richtige Erwiderung – gerade weil sein Konzern davon betroffen sein wird. Ich will nicht nur hören, was Daimler neben seinem bisherigen Geschäft noch an grünem Kleinkram macht – ich will seine Ideen für die komplette Transformation der Automobilwirtschaft hören. Ich will wissen, wie Daimler zum Pariser Klimaziel wirklich steht. Das ändert zwar nichts am fehlerhaften Format oder an der sich einschleichenden Konzernnähe bei uns Grünen, aber es wäre zumindest ein Grund, sich die Rede und die Diskussion auch anzuschauen.

Autor: Georg Kössler

Georg ist Klimaschützer, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Energie.

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