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Grün braucht Bewegung

35 Jahre Grüne sind 35 Jahre an den Seiten der progressiven Bewegungen. Entstanden sind wir aus der Frauen-, der Ökologie-, der Friedens-, der Bürgerrechts- und vielen anderen Bewegungen. Gemeinsam haben wir die verkrustete Republik in den 1970er Jahren aufgebrochen und belebt. Gemeinsam haben wir viele Schritte vorwärts gemacht hin zu einer bunteren, offeneren und toleranteren Republik.

Seit der Gründung der Grünen am 12. und 13. Januar 1980 tragen wir die Anliegen der Bewegungen in die Parlamente und bis in die höchsten Ämter dieser Republik. Heute regieren wir in mehr Bundesländern mit als die Union. In diesem Jahr könnte in Hamburg noch eine neunte Landesregierung dazu kommen. Diese Erfolge waren in unserer Gründungsphase nicht absehbar und wir konnten dies nur mit einem starken kommunalen Fundament und der ständigen Auseinandersetzung mit Bewegungen und Zivilgesellschaften erreichen. Deshalb gilt für2015: Politik wird nicht nur in Parlamenten gemacht und auf der Straße sind wir nicht nur im Wahlkampfzeiten, sondern dann wenn es Not tut.

Dieses Jahr bietet viele Anlässe zu zeigen, dass wir eine Bewegungspartei sind und bleiben Klar ist auch, nicht nur Progressive gehen auf die Straße. Hooligans, Rechtsextreme oder Linkssektierer sind auch dabei, von denen wir uns entschieden abgrenzen. Chauvinismus und Rassismus wird durch Pegida und Co. auf die Straße getragen.

  • Wir sehen europaweit einen gefährlichen Rechtsruck. Angesichts von Pegida, Hogesa, offen demonstrierenden Rechtsextremen und ersten Brandanschlägen auf Asylbewerberheime kommt uns eine zentrale Rolle zu, die Bunte Republik Deutschland und ein Europa der Vielfalt zu verteidigen. Während Konservative Verständnis heucheln, zeigen wir gemeinsam mit einer starken Zivilgesellschaft, dass wir Pegida und Co nicht den öffentlichen Raumüberlassen.
  • Wir kämpfen für gute und sichere Lebensmittel gegen eine Agrarindustrie, die Profite über Gesundheit und Tierwohl stellt. Wir sind die Anwälte der Bürgerinnen und Bürger und Teil einer breiten Bewegung, die die bisherige Art und Weise Lebensmittel zu produzieren schlicht satt hat.
  • Wir unterstützen die europaweiten Protest gegen CETA und TTIP. Klar ist, nur durch breiten Druck jetzt können die Abkommen noch verändert werden. Deshalb sammeln wir gemeinsam mit einem breiten Bündnis europaweit Unterschriften.
  • Wir befinden uns in einem Schicksalsjahr für den Klimaschutz. Mit der wichtigen Klimakonferenz in Paris bietet sich die Chance, in diesem Jahr zu einem verbindlichen Weg zur Erhaltung der Erde zu kommen. Hier können wir nur gemeinsam mit der Umweltbewegung und anderen progressiven Kräften Druck auf die Regierungschefs aufbauen. Sonst wird es wieder ein verlorenes Jahr für das Klima, das wir uns nicht mehr leisten können. Schon auf dem G7 Gipfel im Juni im bayerischen Elmau gilt es Aufzustehen und für wirklichen Klimaschutz auf die Straße zu gehen.

All dies sind Anlässe, wo wir gemeinsam mit den Bewegungen viel erreichen können. Gemeinsam mit unseren Bündnispartnern werden wir einen kreativen, bunten Protest auf die Straße bringen und in den Ländern, in denen wir in Regierungsverantwortung stehen, diese Politik in die Kabinette tragen. Denn heute genauso wie vor 35 Jahren machen wir Grünen Politik, weil wir glauben, dass es dieses Land besser kann.

Doch eine Bewegung macht keine Partei – und eine Partei keine Bewegung. Es gab und wird es auch immer wieder Spannungen zwischen einer politischen Partei und zivilgesellschaftlichen Bewegungen geben – in der Opposition, aber natürlich noch viel mehr an der Regierung. Es hat uns geschmerzt, als die Anti-Atom-Bewegung gegen uns aufgerufen hat. Doch diese Konflikte müssen wir aushalten, ohne uns wegzuducken oder auf Gleichklang zu beharren. Während wir im Klein-Klein der täglichen Regierungsarbeit um Erfolge kämpfen, dürfen wir nie die langen Linien grüner Politik vergessen. Regieren ist für uns kein Selbstzweck, sondern ein stetiger Abwägungsprozess. Uns geht es um Veränderung. Unser Ziel ist es nicht, die meisten Regierungsposten zu erlangen, sondern die großen Probleme unserer Zeit anzugehen, so wie es von Beginn an der grünen Bewegung unsere Absicht war. Und dafür brauchen wir als Partei beides, kompetentes Regierungshandeln und den Schwung visionärer Ideen oder Kritik an Missständen, die Menschen auf der Straße bringen. Ohne die Energie einer lebendigen Bürgergesellschaft würde uns über kurz oder lang der Regierungsakku ausgehen. 

Autor: Michael Kellner

Michael Kellner ist politischer Bundesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen

2 Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Kellner,

    ich bin – seit ich wählen darf – ein Grüner Wähler. In den letzten Jahren fällt es mir zunehmend schwerer, mein Kreuz für diese Partei zu setzen. Die Grünen müssen, wie sie schon erwähnt haben, ihre Kernthemen definieren, ohne das diese sofort in der bürgerlich-konservativen Mitte aufgesogen werden und eine Unterscheidbarkeit schwer wird. Besonderes Unbehagen bereiten mir Tendenzen, in denen sich die Grünen als Wirtschaftspartei sehen, ergänzt duch das Ökologie-Thema. Die Grünen wirken auf mich wie eine Partei der "Besserverdiener", in der das Thema soziale Gerechtigkeit immer stärker an der Rand gedrängt wird. Ich wünsche mir, dass Ökologie, soziale Gerechtigkeit – meines Erachtens der wichtigste Grundpfeiler für eine langfristig funktionierende Demokratie in einer offenen Gesellschaft – und Wirtschaftspolitik (in diesem Sinne finde ich das Buch von Herrn Schick sehr inspirierend) in der grünen Politik unterscheidbare Alternativen zum neoliberalen Konzept der CDU und SPD bieten. Wie gesagt, über die gegenwärtige Tendenz in der öffentlichen Wahrnehmung zu einer Wirtschaftspartei der Besserverdienenden bin ich mehr als irritiert und diese stellt eine Veränderung dar, die meines Erachtens eher in eine konservativ-neoliberale Richtung führt. Das würde die Grünen für mich in Zukunft unwählbar machen.

    Die Gedanken, die Sie in Ihrem Beitrag für grüne Politik formulieren, finde ich gut und ich würde mich freuen, wenn diese auch stärker im politischen Allltag zum Tragen kommen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Ulf Dyszak

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