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Wahlfreiheit in GRÜN

Innerhalb der GRÜNEN wird intensiv und kontrovers über Freiheit diskutiert. Kontrovers, weil im Windschatten der enttäuschenden Bundestagswahl einige Debattenbeiträge Freiheit definieren, als müsse man sich nur möglichst vieler staatlicher Regeln entledigen. Dies wird unserem GRÜNEN Anspruch einer modernen, ökosozialen Reformpolitik nicht gerecht. Freiheit ist voraussetzungsvoll. Es ist Aufgabe von Politik, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass jede und jeder Einzelne in unserer Gesellschaft frei sein kann.

Freiheit auf den Markt und dessen Regeln zu verengen, springt zu kurz. Für uns ist „frei sein“ zuallererst ein individuelles Recht. Das Recht, selbstbestimmt und gleichberechtigt in dieser Gesellschaft zu leben und teilzuhaben. Selbstbestimmtheit bedeutet, in jeder Lebensphase, bei jeder Lebensentscheidung Wahlfreiheit zu haben. Denn Freiheit bedeutet, tatsächlich wählen zu können. Diese Freiheit setzt Auswahl voraus – bei der Berufsplanung, bei der Familiengründung, bei Auszeiten, Pflege und Rente. Diese Freiheit fehlt in Deutschland an allen Ecken und Enden – mit Blick auf eine flächendeckende Infrastruktur für Betreuung und Pflege, auf Lohngerechtigkeit, auf gerechte Steuerpolitik. In vielen Bereichen agiert der Staat heute mitnichten neutral. Er greift vielmehr lenkend in die Entscheidungen der Bürgerinnen und Bürger ein. So fehlt es an tatsächlicher Wahlfreiheit. Vor allem aber fehlt es an einem modernen, libertären Umgang des Staates mit seinen Bürgerinnen und Bürgern.

Freiheit – Sich frei entscheiden können

Unsere Gesellschaft ist in Bewegung. Alte Rollenmuster und konservative Vorstellungen vom einzig richtigen Lebensentwurf wurden aufgebrochen. Menschen aller Generationen wollen ihr Leben selbstbestimmt gestalten – beruflich wie privat. Immer mehr Menschen leben – auch als Eltern – in bunten Familienkonstellationen miteinander. Sie wollen nicht, dass Grundgesetz und Steuerrecht ein Lebensmodell – Mutter, Vater, Kind in Hauptverdiener-Ehe – privilegieren und als Leitbild propagieren. Sie wollen frei entscheiden.

Sie wollen sich entscheiden können, aus Liebe zu heiraten und nicht aufgrund finanzieller Abwägungen heiraten zu müssen, um als solidarische Gemeinschaft und als Eltern unterstützt zu werden. Durch das Ehegattensplitting wird der Trauschein aber milliardenschwer gefördert, während unverheiratete Eltern oder Alleinerziehende in die Röhre gucken. Das muss sich ändern, denn der Staat darf kein familiäres Leitbild propagieren. Er muss alle Familienkonstellationen unterstützen und gleichstellen, in denen Werte wie Solidarität und Fürsorge gelebt werden.

Freiheit im und vom Berufsleben

Wie frei sind junge Eltern, die Erwerbs- und Hausarbeit partnerschaftlich aufteilen wollen, wenn Anreize wie Steuerrecht, mangelnde Betreuungsplätze oder Minijobs – ökonomisch kalkuliert – dazu zwingen, diese Vorstellung schnell aufzugeben? Wie frei sind junge Mütter und Väter, die sich nicht entscheiden wollen zwischen Familienzeit und Beruf?

Gerade in der "Rush Hour" des Lebens, der Zeit zwischen 30 und 40, wird der Zeitstress immer größer. Gerade in dieser Phase der Familiengründung brauchen Eltern Sicherheit. Die entschiedene Eindämmung der Möglichkeit, Jobs zu befristen, wie auch das Rückkehrrecht auf eine Vollzeitstelle sind von zentraler Bedeutung. Was wir zudem brauchen, ist eine neue Form des Elterngeldes, ein Familienzeit-Grundeinkommen. Denn das derzeitige einkommensabhängige Elterngeld benachteiligt Eltern, die beruflich noch nicht etabliert oder gar nicht erwerbstätig sind. Eltern, die in den ersten Lebensjahren ihres Kindes in vollzeitnaher Teilzeit arbeiten, sollen zudem ihren Verdienstausfall steuerfinanziert ersetzt bekommen. Wichtig ist, dass die Ausweitung des Elterngelds geschlechtergerecht ausgestaltet ist und dass insbesondere Eltern mit geringem Einkommen profitieren. Denn gerade Eltern brauchen ökonomische Sicherheit und Unterstützung darin, ihren Wunsch nach einer partnerschaftlichen Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit auch leben zu können.

Freiheit im Lebensentwurf beginnt und endet nicht mit der Familiengründung. In jeder Phase der Berufstätigkeit muss es möglich sein, frei wählen zu können, wenn andere gesellschaftliche Aufgaben in den Fokus rücken. Da es für unsere Gesellschaft wichtig und wertvoll ist, wenn Menschen sich fortbilden oder sich engagieren, brauchen wir gesetzlich verankert ein Recht auf Sabbatjahre ("Sabbaticals").

Die derzeit diskutierte Einführung eines Rechtsanspruchs auf eine Pflegezeit reicht nicht aus. Pflegearbeit wird nur dann gesellschaftlich ausreichend wertgeschätzt, wenn es eine auch materielle Anerkennung gibt, die in dieser Phase existenzsichernd ist. Skandinavische Länder wie Norwegen zeigen seit langem, dass familienfreundliche Arbeitszeiten und Sicherungsmodelle auch ökonomische Produktivität bringt.

Freiheit – Individuelle Ansprüche und Absicherung

Und wie frei ist jemand, der bei Erwerbslosigkeit Gefahr läuft, dass staatliche Behörden in seine Wohnung eindringen und die Zahl der Zahnbürsten zählt? Das jetzige Modell der Bedarfsgemeinschaften beim Bezug von Sozialleistungen macht unfrei. Soziale Teilhabe ist dann kein Grundrecht mehr, sondern eine Notlösung, wenn Partnerin oder Partner nicht für das Einkommen aufkommt. Materielle Abhängigkeit ist aber der Killer jeder gleichberechtigten Beziehung. Deswegen brauchen wir eine sanktionsfreie Grundsicherung und individuelle Ansprüche statt Bedarfsgemeinschaften.

Wir täten gut daran, als GRÜNE diee Frage der Freiheit sehr persönlich zu nehmen. Und Freiheit bedeutt echte Wahlfreiheit. Diese in unserem Land politisch und gesellschaftlich zu organisieren und zu garantieren, wäre der vielleicht größte Beitrag zur Emanzipation im 21. Jahrhundert.

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