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Wie Grüne Ökonomie ein Streitthema wurde

von Barbara Unmüßig

 

Rio de Janeiro im Juni 2012: Großdemonstration anlässlich der UN-Konferenz zur nachhaltigen Entwicklung (Rio+20). Unübersehbar die Slogans, Poster und T-Shirts, die gegen Grüne Ökonomie mobil machen. Diese Demo ist das bislang kräftigste Signal, Grüne Ökonomie in Bausch und Bogen abzulehnen. Neben Nichtregierungsorganisationen weltweit sind es auch die Regierungen des globalen Südens, die sich gegen Grüne Ökonomie als neues Paradigma für Entwicklung stemmen.

Die Grünen müssten sich dringend mit der internationalen Debatte um die Grüne Ökonomie – und wer sie warum ablehnt oder befürwortet – auseinandersetzen, wird hier doch mit Begrifflichkeiten und Konzepten „jongliert“, die eigentlich zum programmatisch Eingemachten der Partei gehören. Vielleicht helfen der folgende Beitrag sowie die zahlreichen Publikationen der Heinrich-Böll-Stiftung, diese überfällige Debatte anzustoßen.

Wo kommt der Begriff her?

Selten ist ein Begriff wie die Grüne Ökonomie, der erst seit Kurzem überhaupt in der internationalen Debatte auftaucht, so schnell ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Das Abschlussdokument der Rio+20 Konferenz, die nach EU-Wünschen eigentlich eine UN-Roadmap für die Grüne Ökonomie verabschieden sollte, bleibt zur Grünen Ökonomie nichtssagend, weil sich Gegner und Befürworter blockiert haben.

Doch der Reihe nach. Wie kam dieser Begriff eigentlich in die Welt? Und was löst die Kontroverse aus?

Zunächst war es das Umweltprogramm der UNO, UNEP, das einen umfassenden Versuch unternahm, Grüne Ökonomie zu definieren. Heute sind es die OECD, die Weltbank und große Think Tanks wie McKinsey, die sich des Begriffs bedienen und durchaus in der Stoßrichtung differieren. Vor der Rio-Konferenz unterzeichneten auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und das Bundesumweltministerium (BMU) ein „Memorandum für eine Grüne Ökonomie“. Noch komplizierter für den Überblick wird es, wenn der Begriff der Bioökonomie verwendet wird. (Wer sich zu all diesen Begriffen, Konzepten und Akteuren schlau machen will, lese „Kritik der grünen Ökonomie – Impulse für eine sozial und ökologisch gerechte Zukunft“).

Wo kommt die Ablehnung der Grünen Ökonomie her?

Technikgläubigkeit: Allen Konzepten der Grünen Ökonomie ist immerhin gemeinsam, dass sie den Klimawandel und die weltweite Ressourcenknappheit als Fakten akzeptieren und ein Umsteuern einfordern. Das ist letztlich eine gute Botschaft, die jedoch im multilateralen Verhandlungskontext so kein Gehör findet. Bei allen Unterschieden: die Konzepte Grüner Ökonomie singen ausschließlich das Hohelied der Technologieinnovation und Effizienz. Der Privatsektor soll es richten und braucht dafür politische Rahmenbedingungen wie Forschung und Entwicklung und politische Anreize.

Dass massive Effizienzsteigerungen gebraucht werden, ist Konsens. Aber mit welchen Maßnahmen und Technologien? Und reicht Effizienz überhaupt aus, um in den planetarischen Grenzen zu bleiben? Das Misstrauen und der Widerstand gegen Technologien, die zu Recht als Hochrisikotechnologien betrachtet werden – Gentechnik, High Tech im Weltall oder Ozeandüngung als Klimaschutz, aber auch Atomkraft, Großstaudämme oder Agrotreibstoffe –, wächst. Sie sind Synonyme dafür, dass die Kritik an Technologien weltweit zunimmt, die sich als grün verbrämen.

Grüne Ökonomie braucht Menschenrechts- und Sozialstandards: Die Grüne Wirtschaft pflegt gerne das Image sogenannter Win-Win-Optionen, als ob es beim Grünen Wirtschaften keine sozialen Folgen und Verteilungsaspekte mehr zu bedenken gäbe. Spätestens seit Agrotreibstoffe politisch gefördert werden und deren Anbau um Nahrungsmittel konkurrieren, wissen wir doch, dass eine knappe Ressource nicht unbedingt durch eine andere Ressource zu ersetzen ist. Sorgfältig müssen Zielkonflikte abgewogen werden. Das neue grüne kohlenstoffarme Business muss sich überall seiner Menschenrechts- und sozialen Verantwortung stellen. Nicht jedes Ziel heiligt die Mittel, auch nicht im Namen der Kohlenstofffreiheit.

Wertschätzen oder inwertsetzen?

Ein weiterer Aspekt, warum Grüne Ökonomie vor allem im globalen Süden in Misskredit gerät, sind die Initiativen zur weiteren Ökonomisierung von sogenanntem Naturkapital. Das bringt viele Akteur/innen im Süden – vor allem in Lateinamerika – auf die Barrikaden, weil sie hier nicht nur einen weiteren Ausverkauf der Natur sehen, sondern deren Umwandlung in Handelsgüter und Privateigentum vor allem gemeinwirtschaftlich lebende Bevölkerungsgruppen enteignen und vertreiben wird.

Näheres zur Debatte um die ökonomische Bewertung von Natur ist im Böll.Thema 1/2012 „Grüne Ökonomie – Was uns die Natur wert ist“ nachzulesen.

Die Ablehnungsfront einiger Südregierungen scheinheilig

Grüne Ökonomie hat es anders als beabsichtigt auf der Rio+20 Konferenz nicht geschafft, zum neuen Leitbild für nachhaltige Entwicklung zu werden. Während NGOs kritisieren, dass die Konzepte der Grünen Ökonomie die soziale Dimension und die Verteilungs- und Machtfragen ausbelenden, argumentieren die Regierungen des Südens wegen des Zugangs zu Technologie, Wissen und Märkten gegen Grüne Ökonomie. Sie vermuten Protektionismus oder fürchten neue Konditionen. Vor allem Schwellenländer sind jedoch längst wettbewerbsfähig bei einer ganzen Anzahl neuer Technologien. An sozialen und menschenrechtsorientierten Standards sind sie wenig interessiert, das gilt als protektionistisch oder Einmischung in die nationale Souveränität.

Mancher Fürsprecher und manches Konzept Grüner Ökonomie verstärken die Skepsis und Vorbehalte von NGOs und sozialen Bewegungen auf der ganzen Welt. Wir brauchen deshalb auch für die Grüne Ökonomie Prüfungen der Sozial- und Technologieverträglichkeit. Wir brauchen demokratische Teilhabe und Partizipation – überall. Soziale und ökologische Gerechtigkeit, politische, soziale, kulturelle Menschenrechte gehören unverbrüchlich zusammen. Effizienzsteigerungen alleine werden zudem nicht ausreichen, wenn wir nicht auf Kosten künftiger Generationen die Ressourcen des Planeten ausplündern und das Treibhaus weiter anheizen wollen.

Wir brauchen keine weitere Ökonomisierung der Umwelt, sondern politische Führung und Vorgaben wie Obergrenzen für den Ressourcen- und Naturverbrauch, der die Wirtschaft verpflichtet und nicht nur neue ökonomische Geschäftsfelder und Nischen bedient. Obergrenzen für den Kohlendioxidausstoß, für Fischfangquoten, der Schutz noch intakter Ökosysteme, Moratorien, die die Ausbeutung fossiler und mineralischer Rohstoffe dort stoppt, wo die einheimische Bevölkerung vertrieben und ökologisch wertvolle Ökosysteme zerstört werden.

Manch „grüne“ Ideen haben ihre Unschuld verloren und sind zum Schauplatz widersprüchlicher und komplexer Prozesse geworden. Welche Transformation brauchen und wollen wir? Diese Frage darf sich nicht ausschließlich daran ausrichten, wie viel Kohlendioxidemissionen wir dabei vermeiden. Diese Debatte wird uns weit über Rio hinaus beschäftigen. Ob mit dem Begriff der Grünen Ökonomie oder ohne ihn.

Autor: Michael Kellner

Michael Kellner ist politischer Bundesgeschäftsführer von Bündnis 90/Die Grünen

3 Kommentare

  1. Ein Großteil des Akzeptanzproblems, unter dem die "Green Economy" und die darunter verstandenen Effizienzsteigerungen momentan leiden, kommt von der Ignoranz systemischer Konstruktionsfehler unseres Wirtschaftssystem, die durch dieses "Greenwashing" der Wirtschaft unter den Teppich gekehrt werden sollen.

     

    So ist das ständige Wachsen der Wirtschaft inzwischen auch von uns Grünen als eines der Hauptimperative politischen Handelns übernommen wurden, obwohl eine wirkliche Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch, wie von Barbara schon richtig ausgeführt, im Moment nicht mehr als eine bloße Spekulation ist. Dabei will ich nicht falsch verstanden werden. Natürlich ist es wichtig und gut, dass die Politik Anreize für Effizienzgewinne setzt. Ob damit die ökologischen Probleme unserer Zeit vollständig zu beseitigen sind, ist mehr als fraglich. Schließlich ist das in unserem Wirtschaftssystem strukturell verankerte Wachstum ein exponentielles Wachstum. Während kleinere Volkswirtschaften auch heutzutage kein Problem haben, 10% Wirtschaftswachstum zu erreichen, sinken die Wachstumsraten in den großen Industrieländern ständig – mit fatalen Folgen für das soziale Gefüge.

     

    Wir befinden uns im "goldenen Zeitalter", dass Keynes schon 1943 vorraussah. Dieses zeichnet sich dadurch aus, dass die Konsumbedürfnisse der Menschen in unserem Land weitesgehend befriedigt sind. (Der World Happiness Report, der dieses Jahr zum ersten Mal erschien verzeichnete eine Steigerung des deutschen BIP um 60% zwischen 1973 und 2003, während das individuelle Glücksniveau im selben Zeitraum um 10% sank)

     

    Nun fragt sich der ökonomische Laie, warum es trotz einer solchen Nachfragesättigung so viel Armut in dieser Gesellschaft gibt. Dieses hat systemische Gründe: Ein Unternehmen, dass investieren will, muss dies über Kreditaufnahme tun (Eigenkapital ist in vorherigen Wirtschaftsaktivitäten von Menschen oder Unternehmen bereitgestellt worden, die es auch ursprünglich über Geldschöpfung erhalten haben, weswegen dieser Unterschied gesamtwirtschaftlich vernachlässigt werden kann). Der auf den Kredit anfallende Zins stellt die Mindestprofitrate dar, die das Unternehmen erwirtschaften muss, damit die Investition profitabel bleibt. Es gibt dafür zwei Möglichkeiten. Zum Einen ist es möglich, dass das Unternehmen die kosten für das Kapital über höhere Preise an die Kund_innen weitergibt (mit der Folge, dass die soziale Ungleichheit weiter wächst), zum Anderen kann das Unternehmen darauf hoffen, dass andere Unternehmen ihrerseits Kredite aufnehmen, die neue Nachfrage schaffen.

    Der Sachzwang, dass die Wirtschaft entweder wächst, oder unsozialer wird, lässt sich so erklären. Wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst, können Zinsen nicht mehr zurückbezahlt werden, Banken gehen Pleite und die Nachfrage bricht weiter ein. Dadurch entsteht ein Teufelskreis, der eine stabile Wirtschaft in unserem Geldsystem unmöglich macht. Es existieren nur die Zustände "wachsen" und "schrumpfen", die beide katastrophale soziale Folgen haben.

     

    Dabei ist das Zinssystem keineswegs der alleinige Grund für diesen Zustand. Das möchte ich hier in aller Deutlichkeit klarstellen, bevor ich zu den Geldkritikern, die dahinter eine jüdische Verschwörung der Banken zur Übernahme der Weltherrschaft sehen, gestellt werde. Diese einseitige Fixierung auf das Bankensystem ist eine verkürzte Kritik und somit nicht geeignet, die systemischen Ursachen des Wachstumszwanges zu erklären.

    Vielmehr ist das jetzige Banken- und Zinssystem ein Werkzeug der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, die aufgrund der Tendenz der fallenden Profitrate (siehe Marx) immer mehr Festkapital pro Arbeiter_in braucht und ohne ständige Finanzierung auf Pump schon längst an ihre ökologischen Grenzen gestoßen wäre. Die Tatsache, dass Zins und Zinseszins inzwischen einen großen Teil der öffentlichen und privaten Ausgaben und damit einen Hauptgrund für die Eurokrise ausmachen, war von ihren Erfinder_innen sicherlich nicht geplant, lässt sich aber schwer verleugnen.

     

    Ich möchte an alle Grünen, insbesondere die Grüne Linke, appelieren, nicht in unrealistischen Technologieoptimismus zu verfallen. Ich will damit nicht ausschließen, dass große technologische Revolutionen die Lösung für einige unser Probleme liefern, aber wenn sie das nicht tun, wonach es momentan aussieht, sollten wir schnellstmöglich Lösungen entwickeln, um den Wachstumszwang zu überwinden, wenn wir diese Erde weiterhin bewohnen wollen, ohne unseren Kindern eine gigantische Müllhalde zu hinterlassen.

     

    Für eine weitere Vertiefung dieser Thematik möchte ich euch das Buch "Wirtschaft ohne Wachstum?!" der Uni Freiburg empfehlen, welches ich selber gerade durcharbeite. Außerdem sollte jede_r einmal die Arte-Doku "Kaufen für die Müllhalde" gesehen haben, die von dem "geplanten Verschleiß" von Gütern handelt, der meiner Meinung nach eine der größten Perversionen des Wachstumsdogmas ist.

  2. Im Wahlprogramm 2009 haben wir ein Leitbild Grüne Marktwirtschaft propagiert. Wie gehen wir mit diesem Begriff angesichts der Kritik am Begriff "grüner Ökonomie" um?

    siehe auch http://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/Wahlprogramm/BTW_Wahlprogramm_2009_final_screen_060709.pd

  3.  „Das gute Leben gibt es nicht umsonst“. So überschrieb Harald Welzer seinen Essay zur „Rio+20-Konferenz“ im Spiegel 26/2012 (Seite 62/63). Sein Fazit: „Für die Transformation zur Nachhaltigkeit gibt es keinen Masterplan. Sie ist ein kollektiver Lernprozess, und zwar ein unausweichlicher“. Es wäre schon schön, wenn die Grünen hierzu einen Beitrag liefern würden. Das bisher vorliegende Konzept einer „Green Economy“ sieht jedoch wie ein Holzweg aus, denn er scheint in die gleiche Sackgasse zu führen, die vermieden werden soll.

     Es wäre so schön einfach, wenn sich Zukunftsfähigkeit mit Hilfe einer „Green Economy“ erreichen ließe. Aber diese Hoffnung ist ein Trugschluss, solange am Wachstumsprinzip (mit seiner Kehrseite „Konkurrenzprinzip“) festgehalten wird.

     Diese Prinzipien sind ursprünglich aus den menschlichen Eigenschaften (Gier und Hass) entstanden, auf die sich alle Erscheinungen der heutigen Wirtschaftswelt noch immer zurückführen lassen.

     Beide Prinzipien haben sich verselbständigt und scheinbar dem menschlichen Einfluss entzogen. Sie haben sich quasi entkoppelt und zu unangefochtenen Dogmen aufgeschwungen, die nicht nur das ökonomische Geschehen strukturieren. Als allgemein akzeptierte Sachzwänge bestimmen sie mittlerweile weite Teile des gesellschaftlichen Lebens.

     Da dieser „Gang der Dinge“, dieser Umgang des Menschen mit der Natur „kumulativ katastrophenträchtig ist“ (Hans Jonas in „Der Spiegel“, 11.5.1992), ist die Perspektive eines von einem ständigen Wirtschaftswachstum abhängigen Zusammenlebens klar: Entweder ändern wir die Bedingungen – oder die Bedingungen ändern sich ohne unser wollendes Zutun. Was nichts anderes bedeutet als: Wir werden zwangsweise geändert, indem wir uns den dann eintretenden Zuständen anzupassen haben.

     Es ist ein Armutszeugnis, dass die Menschheit schon seit vielen Jahrzehnten von den Grenzen des Wachstums weiß, aber mit immer neuen Strategien versucht, sich um die Konsequenzen dieser Einsicht zu drücken und ein unheilvolles System zu retten. So hehr die Ziele einer „Green Economy“ auch sein mögen: Wenn das „Grüne Wirtschaften“ keine Alternativen zum Wachstums- und Konkurrenzprinzip enthält, wird es den Naturverbrauch durch den „Rebound-Effekt“ verstärken.

     Das mag eine „unbequeme Wahrheit“ sein, aber die Meldungen aus den Bereichen Ökonomie und Ökologie weisen täglich darauf hin, dass das Mehrungs- und Wettbewerbssystem mit dem Rücken zur Wand steht. Die Wende naht.

     Und streckt erste Fühler aus. Hier einige Überschriften: Gemeinwohl-Wirtschaft; Komplementär-Währungen; achtsames Wirtschaften; Genossenschaften aller Art; Tauschringe; Stadt- und Landkommunen; Buddhistische Wirtschaftslehre (vgl. E. F. Schumacher: Small is beautiful); Öko-Dörfer; Permakultur-Projekte … im gewissen Sinne auch die „Green Economy“, soweit sie sich entkoppeln kann von den Gesetzen der Mehrungs-Ökonomie. Hilfreich ist auch eine Rückbesinnung auf die Experimente und Erfahrungen der Alternativ-Bewegung der 70er-Jahre des 20. Jahrhunderts.

     Unterschätzt wird die Bedeutung einer „geistigen Unterfütterung“. Um die Wende überhaupt zu wollen, benötigt die postkapitalistische Wirtschaft neben Initiative und aktivem Handeln auch Durchhaltevermögen und Mut. Dafür ist es nicht nur nötig, ihre Attraktivität (Nachhaltigkeit, Mitgefühl, Verantwortung, Zukunftsfähigkeit usw.) zu beschreiben, sondern auch stabile Motive, Überzeugungen und Kraftquellen zu nennen, die jederzeit von jedem und jeder überprüft und „angezapft“ werden können.